Mittwoch, 1. Juni 2011

Schisma

Mein letzter Artikel hat offensichtlich eine Menge Leser bewegt. Die einen waren dankbar, dass jemand die Kritik an der Entwicklung des Widerstands gegen das Stuttgarter Großprojekt Stuttgart 21 endlich mal auf den Tisch bringt, andere echauffierten sich. Auch wenn es hier um ein lokales Problem geht, kann man alles Gesagte auf andere Bewegungen anwenden.

In den Kommentaren wurde einerseits über meine Motivation, andererseits über die Auswirkung des Artikels spekuliert. Dabei haben sich zwei interessante und eine in Kauf genommene Positionen herauskristallisiert: Die einen sind der Meinung, dass das Gesagte mal gesagt werden musste, da ihrer Ansicht nach die Bewegung wachgerüttelt gehört. Die anderen sehen darin ein Fall von Selbstzerfleischung des Widerstands, der sich nur mit dorischer Profilierungssucht erklären lässt. Die S21-Befürworter sahen sich in ihrer Protestkritik bestätigt.

Zu meiner Profilneurose: Wollte ich mich profilieren, dann hätte ich mich voll und ganz auf eine Seite geschlagen und auf die andere eingedroschen. Das hätte vielen gefallen, sie hätten mich vielleicht sogar dafür bewundert und wären mir gefolgt. Meine Feinde wären klar identifizierbar gewesen und ich hätte die volle Unterstützung meiner Seite gehabt. Hab ich aber nicht. Stattdessen hab ich einen Eklat produziert, viele Leute haben mir den Rücken zugekehrt, mich persönlich angegriffen und zur Persona non grata erklärt. Manche pflegen ein rebellisches Image, fühlen sich erst wohl wenn sie keiner mehr mag. Sie provozieren auch gegen ihre eigene Meinung. Um des Provozierens willens. Wer diesen Blog kennt, kann sich selbst ein Bild von mir machen.

Natürlich profiliere ich mich in meinen Texten. Sonst würde ich keinen Blog unter eigenem Namen schreiben. Jeder, der seine Meinung öffentlich verbreitet, schärft damit sein Profil. Egal ob in Facebookkommentaren oder auf der Montagsdemobühne. Wenn das Gesagte ins eigene Weltbild passt, dann wird das toleriert und „gefällt mir“ gedrückt, respektive „oben bleiben“ geschrien. Wenn nicht, dann gibt's was auf die Mütze. Der Vorwurf, nur aus Wichtigtuerei einen kontroversen Kommentar zu veröffentlichen, nehme ich keinem ab, der selbst aktiv an der Kommunikation teilnimmt. Handelt es sich bei diesem Vorwurf um den Versuch, sich vor der sachlichen Diskussion zu drücken in dem man das Gegenüber diskreditiert? Nicht immer.

Es gibt auch eine andere Interpretation: Zwei Weltsichten prallen aufeinander. Das ist man ja schon gewohnt, wenn es um die Bahnhofsfrage und die zugrunde liegenden Wertvorstellungen geht. Irritierend ist es, wenn sich innerhalb einer Gruppierung ein Schisma auftut. Jede Seite ist weiterhin im vermeintlichen Besitz der Wahrheit und kann die Kritik der anderen Seite nicht nachvollziehen. Das Resultat: Endlose Diskussionen, die daran scheitern, dass man von unterschiedlichen Grundannahmen ausgeht.

Wenn die andere Position dadurch so fremd wird, dass man deren Sachlichkeit nicht mehr anerkennen kann, ist es schon nachvollziehbar, dass man den Urheber in Frage stellt. Offensichtlich ist das bei meiner These für einige der Fall. Anstelle wie wild weiter zu diskutieren muss ich mal inne halten und überlegen, welche unterschiedlichen Annahmen dem Schisma zu Grunde liegen. Wo unterscheidet sich meine Sichtweise von der meiner neuen Opponenten? Da ich immer nur von mir selbst ausgehen kann ist das keine triviale Frage. Aber ich will mich mal an ihr versuchen. Bitte korrigiert mich, wenn ich total daneben liege. Oder legt mir selbst eure Sichtweise dar.

Streitbar ist das Thema Zweck. In wie fern heiligt er die Mittel?
Wenn die Gegenseite mit unlauteren Mitteln strategisch gegen den Widerstand vorgeht, würde man den Kampf verlieren, wenn man stets sauber bleibt. Man muss selbst strategisch handeln um überhaupt eine Chance zu haben. Dazu gehört auch, dass man im Verborgenen handelt und notfalls auch manipuliert. Das ist nicht schön, aber leider notwendig. Gemessen an den Mauscheleien der Tunnelparteien ist das alles Pillepalle. Außerdem profitiert keiner davon, man tut es ja für eine gute Sache, nicht für die eigene Tasche. Die unterschiedliche Motivation ist Basis einer unterschiedlichen moralischen Wertigkeit des Handelns beider Parteien. Wer mit dem Zeigefinger auf die eigenen kleinen Tricksereien zeigt, sollte lieber bei der Gegenseite die großen Sauereien suchen. Letztendlich geht es darum, die Stadt vor den Eigeninteressen korrupter Politiker und Unternehmer zu schützen.

Dieses halbwegs utilitaristische Handlungsprinzip ist nachvollziehbar, soll es doch den größtmöglichen Nutzen nach sich ziehen. Ich gebe jedoch zu bedenken: Wer trickst oder verheimlicht macht sich unglaubwürdig. Eine große Stärke des Protests war doch, dass er offen und ehrlich war. Das Gemauschel der Mächtigen war eben jener Grund, der die Leute auf die Straße gebracht hat. Wenn Aktionen hinter verschlossenen Türen geplant und deren Teilnehmer zur Verschwiegenheit angemahnt werden, dann werden andere stutzig. Man darf sich halt nicht erwischen lassen. Das ist aber leider nicht zu vermeiden, wenn zu viele Menschen beteiligt sind, die obendrein selbst noch Zweifel hegen. Es gilt abzuwägen: Rechtfertigt der Nutzen einer Aktion das potenziell verspielte Vertrauen? Rechtfertigt es unter Umständen die Einschüchterung Beteiligter um deren Geschlossenheit zu garantieren?

Andere sagen ja, ich sage nein.
Nun kann es ja mal passieren, dass man im Eifer des Gefechts in der Wahl der Mittel über das Ziel hinaus schießt. Ist es dann gerechtfertigt, im Nachhinein die Aktion zu verurteilen, schlimmstenfalls sogar außerhalb der Gruppe? Es wäre dabei ja nichts gewonnen, nur Unfriede gesät und unter Umständen dem Gegner eine Blöße gegeben. Jeder soll auf seine Weise politisch aktiv sein, niemand hat das Recht, über andere zu urteilen. Wenn einem die Mittel nicht passen, dann muss man ja nicht mitmachen.

Die Freiheit des einzelnen oder Gruppen von ihnen so zu handeln wie sie wollen wiegt schwer. Dem potenziellen Kritiker bleibt nur die Möglichkeit sich schweigend zu distanzieren. Die Gefahr besteht darin, dass ein kontroverser Diskurs innerhalb der Bewegung unmöglich gemacht wird. Kritische Meinungsäußerungen werden als Verurteilung verurteilt, sind nicht erwünscht. Kommunikation dient dann nur noch dem gegenseitigen Schulterklopfen und der Schmähung des Feindes. Oder sie entfällt.

Es gibt bestimmt noch viele andere Punkte wo grundsätzliche Ansichten divergieren. Zum Beispiel die Frage ob es legitim ist, zur Vereinfachung der hochkomplexen Thematik alles schwarzweiß zu zeichnen und auf „wir“ und „die“ zu reduzieren, aber das führt jetzt zu weit, ich glaube ich habe das Grundprinzip des Problem ausreichend erörtert.

Doch wie findet man nun eine Lösung? Sollen nun alle den Mund halten und jeder für sich selbst so vor sich hinprotestieren, oder sollten wir riskieren in internen Auseinandersetzungen das gemeinsame Ziel aus den Augen zu verlieren? Gibt es überhaupt eine Lösung, oder ist sie überhaupt erwünscht? Ich weiß es nicht, mach mir aber Gedanken dazu und freue mich über jeden konstruktiven Beitrag. Egal ob von der Juchtenkäfer-Volksfront, den naiven Gutmenschen oder den Erdbahnhofsfreunden. In der Diskussion sind wir alle gleich.

Ich kann hier nur für mich sprechen. Ich beobachte mein Umfeld, beurteile, verurteile, kritisiere und gebe meinen Senf dazu – öffentlich. Das ist der Sinn dieses Blogs. Ich lasse mich nicht in eine Kiste stecken und versuche allen Seiten gegenüber im selben Maße kritisch zu bleiben. Ich habe eine Position, doch die bestimme ich jeden Tag aufs neue. Also Obacht, liebe Volksfronten: Ich bin eine potenzielle Spalterin, unkontrollierbar und geschwätzig. Wen ihr was zu verbergen habt, dann verbergt es vor mir.

2 Kommentare:

  1. Was ist, wenn du die Unschuld des Protestes verlierst und nur noch wegen der Freude am Protest mitmachst oder weil du die Politik der Straße lenken willst oder einfach, weil du Unruhe unters Volk bringen magst? Und was wird, wenn du die Unschuld des Protestes auch weiterhin erhalten willst? Wirst du dann zum Idealisten, der die Reinheit seiner Seele für wichtiger hält als den praktischen Fortschritt der Bewegung? Oder ist das doch alles nur wegen der Seelenschmeichelei ...
    Nebenbei bemerkt, ich hab viele Frauen der 68er-Bewegung in Erinnerung, die ihren männlichen Freunden/Gefährten 'blind' gefolgt sind und keinen Moment zweifelten an der Richtigkeit ihres Handels ... ohne wirklich genau zu wissen, worum es eigentlich ging ... aber deren Stolz unverkennbar war, wenn sie sich neben ihrem Geliebten präsentiert hatten. Ist das nun schlecht für die Bewegung, dass ich das jetzt so schreibe?

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