Dienstag, 27. Juli 2010
Volle Strahlkraft voraus.
Ein bunter Klecks ziert meine Zeitung. Ist es eine radioaktive Blume? Es könnte auch eine Explosion sein, oder das floral-feurige Logo irgend eines neuen Trendprodukts, vielleicht ein Energydrink mit vierfacher Dosis Koffein. Die Umrisse erinnern an ein wohlgenährten Seestern, tanzend, mit zuviel Koffein oder -kain im Hirn. Ein glühendes Sägeblatt einer Kreissäge, ein Ninja-Wurfstern, ein psychedelischer Haifisch.Der Seestern trägt Schrift auf seiner Brust: Region Stuttgart. Die TTs ohne Dächle, dafür jetzt mit vielen vielen bunten Farben! Es soll das neue Logo für unsere Region sein. Das überfordert erst mal meine Vorstellungskraft. Ich lese mal, was Autorin Hildegund Oßwald darüber zu berichten hat.
Das Ganze basiert wohl auf den Kernbegriffen wie Strahlkraft, Topografie, Mobilität oder Bewegung, die unsere Stadt wohl ausmachen. Kombiniert mit den Umrissen der Region, fertig ist die Laube.
Meine Theorie:
Die Berliner Agentur Embassy hat den Abgabetermin völlig verbaselt und braucht panisch einen Entwurf, irgendwas mit Strahlkraft. Beim Wühlen in der Kiste abgelehnter Entwürfe entdeckt der Praktikant ein Logo für ein neues Colorwaschmittel mit der Formel für extra Strahlkraft. Der Tag ist gerettet! Schnell noch ein Schriftzug in kursiv – kennt man von Speditionen, die stehen ja bekanntlich auch für Mobilität. Topografie? Ist dass nicht das mit Schrift und so? Bewegung kann man auch reininterpretieren.
Bis dahin erschien der Artikel bei brezel.me
Darauf hin hab ich mal bei Facebook rumgefragt was die Leute denn so darin sehen. Lustige Antworten:
Dora Asemwald Gegnerischer Geist aus einem alten Videospiel, muss abgeschossen werden bevor er einen berührt.
Tini Fischer Nuwamba, das lecker fruchtige Fruchteis.
Andreas Erdle Langnese oder Dr. Oetker, Ariel oder Omo?
Julia Schröder Kampfstern Eklektika.
Andreas Erdle Stuttgart 22?
Andreas Erdle vielleicht ist es auch die Staubwolke, wenn der Nordflügel des HBF einstürzt
Dora Asemwald Surfer T-Shirt von 1989
Arndt Soboczinski Remember "Sie baden Ihre Hände drin!" "In Geschirrspülmittel?" "Nein, in Pril!" Hurra, die Prilblume ist wieder da!
Julia Schröder Wenn ich's recht bedenke: mit farbiger Schrift drin und in der Type statt dieser schlimmen, die Embassy gewählt hat, ist es doch gar nciht schlecht... für 'ne Eismarke bei Lidl
Dora Asemwald Peter, der fünfarmige Oktopus der immer das Wetter von gestern voraussagt.
Julia Schröder Windows 8
Kristina Knapp schmutzige, verwaschene Farben. das geht mit Persil besser!
Jan Kaiser ganz klar Langnese Eis!
Ich hab dann mal das Brezellogo angepasst.
Samstag, 24. Juli 2010
Besser in die Tasche lügen mit Dora
Reichwerdetipps geben ist eine Sache, reich werden eine andere, bessere. Dacht' ich mir und hab 'ne Geschäftsidee ausbaldowert. Stets gefragt und gut bezahlt: Beratung, Lebenshilfe, Coaching. Leider ist da fast alles schon abgegrast. Doch womit kenn ich mich aus und wo ist der Bedarf am größten?
Lebenslügen. Jeder lügt sich gerne in die Tasche. Schließlich sind wir Herr unserer Realität. Doch bin ich immer wieder erschrocken wie nachlässig viele mit dieser Macht umgehen. Ich kann da helfen.
Ich hab dann gleich mal Werbung an einschlägigen Orte gehängt. Und siehe da: Sofort waren alle Kontaktstreifchen abgerissen. Der Bedarf scheint riesig zu sein! Dummerweise ist mir dann aber aufgefallen, dass die Emailadresse inclusive Tippfehler war. Was nützt eine gute Geschäftsidee, wenn ich zu doof bin einen Zettel aufzuhängen?
Also, nochmal ein Versuch:
Erfahrene Lügnerin bietet:
Lebenslügen
Für jeden Zweck. Ich überarbeite auch Ihre alten Lebenslügen und geb‘ Tipps, wie Sie sich besser in die Tasche lügen können. Warum eine unschöne oder bittere Lebenslüge leben, wenn es auch viel schöner geht? Auf Wunsch verpack ich Ihnen die Lügen auch als Wahrheit. Jetzt im Angebot: Notlügen, Ausreden und Rechtfertigungen.
Und jetzt richtig, ohne Fehler:
Dora Asemwald
dora@doraa.de
www.dora-asemwald.de
asemwald.wordpress.com
Zuerst erschienen auf brezel.me
Freitag, 23. Juli 2010
EIn Leben für die Katz
Das Auto als Medium für Botschaften aller Art ist ja bekannt. Hier ist jemand auf den Hund gekommen: „Ein Leben ohne Hund ist ein Irrtum!“. 91,1% aller Haushalte in Deutschland leben ohne Hund, laufen also einem riesigen Irrtum auf! Vielleicht ist aber auch der innere Schweinehund in der Rechnung mit inbegriffen. Dann wär ich d'accord. Kaum auszumalen was wäre, wenn wirklich jeder einen äußeren Hund hätte. Ein Großteil der 9.638.000 Nichtirrenden lässt seinen Köter jetzt schon in jedes Eck kacken.
Loriot war übrigens in der Hundefrage etwas spezifischer: „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos.“
Ich setzt noch einen drauf: „Ein Leben ohne Katz ist für die selbige!“
Zuerst erschienen auf brezel.me
Doragenese 5: Frau Asemwald verbreitet sich
Meine Bekanntheit ist durch die Galerie stark gestiegen, was sich auch im virtuellen Raum widerspiegelte. Immer mehr Menschen kannten mich über Facebook und mein soziales Netzwerk explodierte.
Mittlerweile war ich in meiner Heimatstadt Stuttgart sehr verwurzelt und habe mich auch damit beschäftigt was dort so passiert. Ein Ereignis im physischen Raum schlug große Wellen im virtuellen Stuttgart: Stuttgart21, der Plan den Bahnhof der Stadt unterirdisch zu legen um das Gleisfeld für die Stadtentwicklung zu nutzen. Hört sich ja eigentlich nicht schlecht an, als ich aber genauer hingeschaut hab wurde mir klar dass es sich dabei um ein Wahnsinnsprojekt handelt, das Steuergelder in die Taschen weniger leitet und die Stadt in jahrelanges Chaos führt. Trotz hoher Kommunikationsetats war niemand in der Lage das Projekt sinnvoll zu erklären. Also dachte ich mir ich muss da mal ohne Etat was dagegensetzen und habe die Initiative Loch21 gegründet.
Die Idee war einfach:
Ein CDU-Abgeordneter aus Stuttgart hat vorgeschlagen, ein Loch im Bahnhof zu graben, sodass jeder sehe: Stuttgart 21 ist nicht umkehrbar. Die Idee ist jedoch ausbaubar:
Nehmen wir doch die 6.000.000.000 Euro, die S21 wirklich kosten wird und graben einfach das größte Loch der Welt. Das zieht Touristen an und Stuttgart ist dann bekannt als das Loch in der Mitte Europas. Mit dem Aushub erhöhen wir den Monte Scherbelino und eröffnen ein Skigebiet. Noch mehr Touristen. Noch mehr Geld.
Und hat sofort ein paar Hundert Leute begeistert (derzeit 587)
Ich habe Aufkleber und T-Shirts produzieren lassen um die Initiative sichtbar zu machen. Das Vandalismuspotenzial von Aufklebern wenn sie in die Hände von Chaoten geraten ist mir bewusst, doch der Abriss des Bahnhofs und vieler Bäume im Park sind ja irgendwie auch Vandalismus. Da sind mir Aufkleber noch lieber, erst recht wenn sie um die Welt getragen werden.
Um die Loch-Mode zu verbreiten dachte ich dass wir gute Modefotos brauchen. Also habe ich zusammen mit den Fotografen Frank und Steff ein Casting organisiert um das Gesicht der Initiative zu finden.
Das Casting war fast erfolgreich, das männliche Modell hatte jedoch verschlafen. Auf der Straße haben wir dann mittels Schnellcasting ein wunderbaren Ersatz gefunden.
Wie es mit dem Loch weitergeht kann man ja dann in meinem Blog lesen.
Letztes Jahr hat die Stuttgarter Zeitung einen Blog eröffnet, der nach des Stuttgarters Hauptnahrungsmittel benannt wurde (Nein, nicht Linsen mit Spätzle): brezel. me. Mir hat das gefallen, ich hab stets meinen Senf dazu gegeben. In solchen rauen Mengen dass Brezelmeister Köhler mich kurzerhand ins Autorenteam aufnahm.
Eine Reporterin für den lokalen Teil der Zeitung ist auch über mich gestolpert. Das kommt davon wenn man so heißt wie ein Stuttgarter Vorort und dessen Googleergebnisse verstopft. Sie fand die Geschichte von mir und meinem Entdecker interessant und schrieb darüber.
So schrieb sie auch darüber, dass ich ein Profil bei Xing hätte. Das haben die Xingler natürlich sofort gelesen und mich wegen verdacht auf Virtualität gesperrt. Sie wollten eine Kopie des Personalausweises. Hatte ich keinen. Bin ja virtuell, da gibt's so was nicht. Staatsbürgerschaft war uns Virtuellen vorbehalten. Ich hab kurzerhand einen Staat gegründet (Virtual Republic of Iddora) und einen Ausweis beantragt. Den Ausweis hab ich bekommen, Xing hat in jedoch nicht akzeptiert. Wenigstens gab's über die Geschichte einen Artikel auf Stuttgarter Zeitung Online.
Ein T-Shirtshop ist meine jüngste Idee. Jetzt kann man mich auf Klamotten durch die Gegend tragen.
Mittwoch, 21. Juli 2010
Doragenese 4: Frau Asemwald bekommt einen Laden.
Um von materiellen Menschen ernst genommen zu werden hilft es, wenn man sich im materiellen Raum verortet. Wie praktisch dass mein Offline-Vertreter sich selbstständig machte und einen Laden eröffnete.
Bütique, eine Mischung aus Büro und Boutique. Er hat den Büroteil übernommen, Betania, eine Modebegeisterte Freundin den Boutiqueteil. Ich war für's Online-Marketing zuständig. Doch so ganz meine eigene Sache war das noch nicht.
Ein Raum war hinter dem Laden frei. Ich habe ihn besetzt und meine Galerie dort gegründet.
Ich habe alle viertel Jahr eine neue Ausstellung dort eröffnet. Die Künstler waren Maler und Fotografen.
Die Vernissagen waren prima Parties, viele neue Menschen entdeckten die Galerie und somit mich! Leider kann ich dort heute keine Ausstellungen mehr machen weil der Vermieter das mit den Parties doch nicht ganz so entspannt gesehen hat.
Ich suche derzeit Räume in denen ich temporär ausstellen kann. Ein Abend ausstellen reicht. Wer nicht kommt hat was verpasst.
Doragenese 3: Frau Asemwald im öffentlichen Raum
Das Leben im Netz ist lustig, aber ich wollte auch außerhalb, also in der materiellen Welt, Präsenz zeigen, Spuren hinterlassen.
Ein Stempel mit meinem Gesicht und meiner Webadresse auf Post-Its waren eine gute Lösung. Es war noch Platz ein paar dorische Schlauheiten abzulassen und fertig waren die Fundstücke, die ich in der Stadt verteilen ließ.
Im Gegensatz zu Aufklebern waren die Post-Its nicht nur unvandalisch und individuell gestaltet, der Finder konnte sie auch wieder mitnehmen und dem Link ins Internet folgen.
Da es viele Zeichnungen von mir gibt haben wir dann noch Kärtchen mit unzähligen dorischen Motiven gedruckt und mit der Zackenschere ausgeschnitten. Die sahen nett aus und wurden gerne von Leuten in der Wohnung aufgehängt.
Ein handgemalter Zettel wurde vom Chefredakteur des Stadtmagazins Lift entdeckt. Dem gefiel mein Blog und er schrieb einen Artikel drüber. So lernten ein Haufen neue Menschen mich kennen.
Dienstag, 20. Juli 2010
Doragenese 2: Frau Asemwald geht ins Netz
Auf Dauer war es mir zu blöd in Skizzenbüchern zu versauern. Virtuelle Figuren müssen wahrgenommen werden, und dazu taugt das Internet. Damals wurde Social Media noch Web2.0 genannt, schien mir aber genau das Richtige zu sein um mein virtuelles Leben auszugestalten.
Angefangen hab ich mal mit OpenBC (OpenBC heißt jetzt Xing, sonst ändert sich nix). Mir war von Anfang an bewusst dass dies ein virtuellenfeindliches Pflaster ist und hab erstmal verschwiegen, welcher Natur ich bin (zu recht, wie ich später erfahren musste). Als mich dann aber die ersten Fremden angeschrieben haben – meistens einsam wirkende Männer – offenbarte ich ihnen meine Natur um klar zu stellen, dass ich als Flirtobjekt ziemlich ungeeignet sei. Das hat jedoch die meisten nicht abgeschreckt. Wie mir später noch klar wurde haben mir einige das einfach nicht geglaubt weil sie es einfach nicht glauben wollten.
Auf jeden Fall ging der Plan auf: Außerhalb der Skizzenbücher konnte ich plötzlich eine neue Welt erkunden. Fremde Menschen nahmen mit mir Kontakt auf und meine Geschichte fing an sich zu verbreiten. Um all das zu dokumentieren habe ich einen Blog angefangen. Damals kannten mich noch nicht so viele Leute, ich hab keine Ahnung ob außer ein paar engen Freunden das überhaupt jemand gelesen hat.
Das hat sich geändert. Heute weiß ich dass mein Tagebuch von einigen gelesen und sogar kommentiert wird. Dora Asemwald gefällt das.
Als sich Second Life im Internet ausbreitete war mir klar dass ich mir das mal anschauen muss. Ich war zuerst erschrocken wie schäbig dort alles aussieht. Alles war überfüllt mit Schmuddelerotik, die anderen Avatare sahen aus wie Pornodarsteller. Hät ich nicht so schnell einen weiteren Avatar namens Dora kennen gelernt die sich dort richtig gut auskannte wär ich wohl sofort wieder abgehauen. So hab ich mir die Sache mal genauer angeschaut und festgestellt, dass die Plattform zwar ganz nett war aber für die Masse gänzlich ungeeignet. Das Interface (Tastatur, Maus) ist der Aufgabe sich in einer dreidimensionalen virtuellen Welt intuitiv zu bewegen nicht gewachsen. Ich hab mich gefreut dass ich einen animierten Avatar hatte, das war es aber auch. Weitere Kontakte über ein paar Chats hinaus konnte ich hier keine knüpfen.
Auch Spaß hat das verkleiden gemacht. Ich muss mal wieder in meine SL-Avatarhaut schlüpfen und schauen, was da so los ist.
Eine eigene Webseite kam als nächstes. Um es genau zu sagen: eine Landingpage die auf meinen Blog führte. Ich habe sie stets überarbeitet und sie ist immer wirrer geworden.
Das Prinzip ist ganz einfach: Wer mich ergründen will muss erst mal den roten Faden suchen und soll sich verirren und so auf dem Irrweg seine eigene Sichtweise auf mich erlangen.
Xing war ganz nett, aber zu businessmäßig. Friendster hatte keine deutschen Nutzer außer meinem Entdecker, der dort schon ganz von Anfang an war. MySpace jedoch setzte sich auch hier durch, ich hab mich dort durch die Welt der Musik geschlagen und sogar nette Musiker kennengelernt.
Als ich kurz darauf Kulveen aus Amerika kennenlernte hat sie mich zu einer viel interessanteren Plattform eingeladen: Facebook. Man konnte dort stets seinen Senf zu allem dazu geben und Gruppen gründen. Das hat Spaß gemacht. Zwar war ich wieder die einzige Deutsche weit und breit, Kulveens Kommilitonen fanden jedoch Interesse an mir und sammelt sich auch in meiner ersten Fangruppe: Friends of the Asemwald. Heute ist Facebook neben meinem Blog mein Hauptmedium.
Links zu dorischen Seiten im Net
Fortsetzung folgt ...
< Teil 1
Montag, 19. Juli 2010
Doragenese 1: Frau Asemwald lässt sich entdecken.
Mein Entdecker hat eine besondere Gabe: Er kann virtuelle Menschen erkennen und ihnen ein Gesicht verpassen. Er versteht ihre Geschichten.
Wenn ihm die Geschichten gefallen dann schreibt er sie auf. Das heißt, wenn er nicht gerade zu faul dazu ist. Er zeigte seine Geschichten Freunden und stellte sie manchmal sogar ins Internet.
Ich fand die Idee von einem Menschen im materiellen Raum entdeckt zu werden spannend. Ich könnte mich da doch auch mal entdecken lassen, dachte ich mir.
Also hab ich mich mal vor seinem inneren Auge platziert. Hat funktioniert, er hat mich gezeichnet. Doch bevor er schon wieder die nächste Person dokumentieren konnte hab ich Radau gemacht bis ihm klar wurde dass ein einziges Bild mal überhaupt nicht ausreichend sei um mir gerecht zu werden. Außerdem war ich noch nicht ganz mit der ersten Zeichnung zufrieden. Nur weil andere in der Regel sich mit einer Zeichnung abspeisen lassen heißt das noch lange nicht dass ich nicht mehr fordern kann. Hab ich getan.
Er hat sich beeindrucken lassen. Ich forderte immer mehr. Ich wollte, dass er meine Geschichte dokumentiert, meine Familie sollte auch nicht zu kurz kommen.
Als Zeichner ist er leider nicht perfekt, also musste er üben. Er hat mich in den letzten fünf Jahren unzählige Male gezeichnet und gemalt, mal besser, mal schlechter. Ich habe auch schon andere dazu gebracht mich zu zeichnen, aber das könnten ruhig auch ein paar mehr sein.
Die materielle Welt glaubt der Macht der Fotos, ich der Macht des Photoshops. Ein realistisch aussehendes gefälschtes Foto ist hilfreich, wenn man ernst genommen werden will.
Teil 2: Dora geht ins Netz >
Pandorische Büchse aus dem Paralleluniversum
Letzte Woche war so einiges los. Auf einem Symposium (Innovationsforum 10) für Social Media wurde ein Vortrag über mich gehalten (Die Diashow zum Vortrag kann man dort runderladen: www.innovationsforum10.de, getwittert wurde auch: #if10) . Meine Lebensgeschichte war das Thema, oder genauer gesagt der Teil meines Lebens welches ich als virtuelle Figur seit meinem Erscheinen vor fünf Jahren geführt habe. Dort waren 150 Marketer die wahrscheinlich nicht mit meiner Autobiographie gerechnet hatten, sie aber eine halbe Stunde über sich ergehen lassen mussten. Einige hat es dann doch interessiert, sie haben mich zu meiner Freude auf Facebook kontaktiert. Ich werde die Präsentation mal an anderer Stelle vorstellen.
Die Hauptfrage des größtenteils von Social Media unberührten Publikums war: Ist Social Media ein Hype? Wird da mal wieder eine neue Sau durchs Dorf gejagt? Ich sag mal: Nein.
Meine These: Social Media ist ein pandorische Büchse.
Wir erleben hier nur den Anfang, zukünftige Generationen werden ein materiell-virtuelles Doppelleben führen. Ich fang am besten mal ganz vorne an um diese These zu stützen.
Direkte und indirekte Kommunikation
In den Anfangstages des Internets nutzten es die meisten um per Chat oder Email direkt miteinander zu kommunizieren. Foren ermöglichten es nicht nur Inhalte im Netz zu publizieren sondern auch zu kommentieren. Blogs kamen Ende der 90er auf und erlaubten Nutzern selbst zu publizieren. Microbloggingsysteme wie Twitter haben das ganze noch schneller und einfacher gemacht. Auch Statusmeldungen auf Social Media-Plattformen erfüllen die selbe Funktion: Man wirft etwas in den virtuellen Raum und wer zuhören will hört zu. Die Kommunikation ist nicht mehr direkt, sie geht ungerichtet ins Netz. Nutzer generieren den Inhalt, Web 2.0. Die virtuelle Öffentlichkeit entstand.
Avatare und Profile
Das Erstellen eines Avatars als digitale Repräsentation eines Kommunizierneden wurde ursprünglich in Spielen eingeführt. Anfang der Achtziger Jahre kamen die MUDs (Multiuser Dungeons) auf in denen viele Spieler gemeinsam in Echtzeit virtuelle Räume ergründen mussten. Hier wurde nie der Anspruch einer authentischen Abbildung der Teilnehmer gestellt. Das änderte sich mit dem Aufkommen der ersten Flirtplattformen. Das dort erstellte Profil entsprach meistens dem erwünschten Bilds des Flirtwilligen. Ob dreidimensional animierte Traumfigur oder Bewerbungsmappenprofil bei Xing, es handelt sich jeweils um ein Abbild – mit unterschiedlichem Abstraktionsgrad vom physischen Original. Seit den ersten Flirtplattformen wurde das Netz für soziale Interaktion genutzt, Social Media entstand. (Mehr dazu im Artikel Avatar – Profil 1:1)
Soziale Netzwerke
Ziel der Flirtplattformen war jedoch stets zwei Menschen zusammen zu bringen. Als im Jahr 2003 die Plattform Friendster es ermöglichte, sich soziale Netzwerke aufzubauen schoss die Zahl der Nutzer in bislang ungeahnte Höhen. MySpace folgte in der Bugwelle des Erfolges von Friendster und 2004 ging Facebook ins Netz. Soziale Netzwerke im materiellen Leben fanden plötzlich ihr Pendant im Netz.
Kommunikation im Netzwerk
Facebook verband den Aufbau virtueller sozialer Netzwerke mit direkter und indirekter Kommunikation. Nun gab es die Möglichkeit kurze Meldungen an eine virtuelle Pinwand zu hängen und mit Freunden zu chatten. Spielchen wie kleine Umfragen animierten die Nutzer sich zu äußern und die Äußerungen anderer zu kommentieren. Der virtuelle soziale Raum wurde mit Kommunikation gefüllt. Das Abbild des einzelnen ist damit nicht mehr nur das angelegte Profil sondern die Summe aller Äußerungen. Die virtuellen Abbilder wachsen über sich hinaus. Kommunikative Phänomene wie Small-Talk finden plötzlich ihr virtuelles Pendant, ein hoch komplexes soziales System mit eigenen Kommunikationsregeln entsteht im Paralleluniversum.
Die Welt im Netz
Google Earth versucht die Welt virtuell nachzubauen, Navigationssysteme berechnen im virtuellen Raum die beste Route zum nächsten Restaurant. Nicht nur Menschen, sondern auch Orte werden ins Paralleluniversum abgebildet. Da der Zugang zu diesem Universum nicht mehr ortsgebunden ist kann überall die lokale virtuelle Welt ergründet werden. Meldet sich ein Nutzer bei einer Plattform wie Foursquare oder Gowalla an einem Ort an ist auch seine Position im Netz abgebildet und somit verfügbar. Diese Plattformen sind heute noch in Deutschland sehr wenig verbreitet, werden aber kommen.
Kurz zusammengefasst: Folgende Faktoren machen den heutigen virtuellen Raum aus.
- direkte Kommunikation (Skype, Email, ICQ, ...)
- Avatar oder Profil als digitales Abbild eines Menschen
- Nutzergenerierter Inhalt (Blogs, Flickr, Youtube)
- Aufbau sozialer Netzwerke (Friendster, MySpace, Facebook, LinkedIn, Xing)
- Indirekte Kommunikation: Foren, Statusmeldungen, öffentliche Kommentare, Tweets
- räumliche Abbildung der Welt (Google Earth, Panoramio, Navigationssysteme)
- mobile Internetnutzung (UMTS, iPhone, Blackberry)
- räumliche Abbildung der Nutzer (Foursqaure, Gowalla)
Fazit
Das virtuelle Paralleluniversum wächst in seiner Komplexität dank steter technischer Erweiterung und rapide wachsender Nutzerzahlen. Die Voraussetzung zum Aufbau komplexer sozialer Systeme sind gegeben und werden genutzt, denn der Mensch ist ein soziales Wesen. Die einzige Bremse sind derzeit Datenschutzrechtliche Bedenken und die Angst zum gläsernen Menschen zu werden. Schaut man sich aber den bedenkenlosen Umgang mit diesen Medien jener an, die damit aufwachsen, muss man feststellen das wie immer gilt: Was technisch machbar ist wird irgendwann auch gemacht.
Social Media mag ein Schlagwort sein, doch das wofür es steht wird die Zukunft auf lange Sicht prägen. Die Plattformen werden kommen und gehen und sich weiterentwickeln, sie werden jedoch nicht mehr verschwinden. Wir haben die Büchse der Pandora geöffnet.
Freitag, 16. Juli 2010
Tag der offenen Zellentür
Tag der offenen Tür ist 'ne feine Sache, insbesondere beim Justizvollzug.
Auf dem Bild oben: Rollender Knast, 18t, 408PS, 12 Liter Hubraum, 30 Gefangenenplätze, jetzt unbesetzt. Unten die Variante für Kleinkriminelle.
Der eine oder andere freut sich da wohl über die Woche der Justiz.
Zuerst veröffentlicht bei brezel.me
Flüchtige Hamster
Der Sommer hat mich aus dem Büro vertrieben, ich bin in die Stadt geflohen. Am Schillerplatz gab's noch mehr Flüchtlinge: Ein Lager für flüchtige Hamster! Wovor fliehen die denn? Wer verfolgt die possierlichen Nager? Ich hab mal an den Zelten angeklopft, doch niemand war da. Eine freundliche Dame mit stapelweise Infomappen klärte mich auf: Hier handelt es sich um das Modell eines Klimaflüchtlingslagers. Klimaflüchtlinge? Wenn das weltweite Klima sich so entwickelt wie befürchtet werden viele Mensch wohl vor ihrem heimischen Klima hier her fliehen, klärte sie mich auf. Und hier wolle man mal ein warnendes Vorgefühl vermitteln. Mir wurde es aber zu heiß und bin wieder in mein Büro zu meinem besten Freund, dem Ventilator, geflohen.
Wer sich sehr beeilt kann das ganze noch anschauen, um 15 Uhr wird wohl wieder abgebaut.
Leider findet sich das Projekt des Künstlers Hermann Josef Hacks, der Umweltakademie Baden-Württemberg und noch ein paar Anderen nicht so leicht im Internet wieder, drum gibt's jetzt auch kein Link. Mir scheint, der klimafürchtende Menschen bevorzugen noch die gedruckte Information. Immerhin auf Recyclingpapier, aber trotzdem letztendlich für's Altpapier.
Zuerst erschienen auf brezel.me