Samstag, 25. Juni 2011

Knarre im Hosenbund



Im Anschluss einer Demo stürzen ein paar aufgebrachte Demonstranten einen Bauzaun ein und stürmen eine Baustelle. Viele folgen ihnen und besetzen den Ort. Einige Leute entdecken den Vandalen in sich und machen Randale. Plötzlich rennt einer mit einer Knarre im Hosenbund durch die Gegend! Ein paar Leute versuchen den Burschen aufzuhalten, fordern ihn auf die Waffe abzulegen, es wird gerangelt.

Wäre es ein bewaffneter Autonomer gewesen, der mit seiner Waffe ein Blutbad hätte anrichten können, dann wären jene, die sich ihm in den Weg gestellt hatten civilcouragierte Helden gewesen. Zum Glück war es kein amoklaufender Psychopath, sondern ein Zivilpolizist, der als solcher dann auch erkannt wurde. Weniger Glück für jene, die versuchten ihn aufzuhalten. Ihnen droht eine Anklage wegen versuchtem Totschlag.

In all der aufgeheizten Diskussion über die Besetzung des Grundwasser-Management für die Baustelle von Stuttgart 21 geht die Frage unter, wieso ein bewaffneter Zivilpolizist sich unter die Besetzer und Randalierer mischt. Mir machen Menschen Angst, die mit Waffen rumrennen, ohne dass ich erkennen kann, dass sie Polizisten sind. Ich kann ja nicht davon ausgehen, dass jeder, der eine Waffe trägt, ein Polizist ist. Leider wird jeder Versuch, das Geschehene zu hinterfragen, als Bagatellisierung der durchaus bescheuerten Besetzung inclusive Vandalismus ausgelegt. Und so werden wichtige Fragen von der Presse der Polarisierung geopfert. Denn nur weil die Vandalen im Unrecht sind, rechtfertigt das nicht das Verhalten anderer.

Nachtrag: 
Mein nächsten Mal nicht provozieren lassen, einfach zu den uniformierten Freunden und Helfern gehen und panisch berichten, dass da so ein Verrückter mit ner Knarre durch die Gegend rennt.







Und noch ein Nachtrag zum Video:
Der Freund und Helfer in Lederjacke wurde angeblich vor dem Filmausschnitt von ein paar Leuten vermöbelt, was natürlich überhaupt nicht in Ordnung wäre, egal ob Zivilpolizist oder Demonstrant. Ich war nicht dabei, hab's nicht gesehen und kann kein Urteil abgeben. Andere, die vor Ort waren, haben aber auch nicht alles gesehen. Drum sag ich einfach mal: Knarren im Hosenbund sind keine gute Idee.

Montag, 20. Juni 2011

Ökoautos unerwünscht!



Als bekennende Naherholerin hab ich mich mal wieder auf mein fahrbaren Untersatz geschwungen und bin losgezogen. Mein Ziel: Der Katzenbacher Hof, ein beliebter Biergarten unweit des Bärensees, um den sich Kollege Köhler so gerne quält. Kurz vor dem Ziel – der Duft der Roten Wurst lag schon in der Luft – kam der jähe Stopper: Mein Fahrzeug war nicht erwünscht! Jetzt bin in extra wegen der berüchtigten Parkplatzsituation in meiner Heimat, dem Stuttgarter Süden, auf das beliebte rote Ökomobil (kein CO2, kein Atomstrom, nachhaltiges Mobilitätskonzept, usw.) umgestiegen und sollte das jetzt dort einfach stehen lassen. Nicht mal einen entsprechenden Parkplatz haben sie geboten. Dann bin ich halt doch zum Bärenschlössle gefahren, wo mein Fahrzeug und ich noch willkommen waren.

Donnerstag, 16. Juni 2011

Oxymoron prêt à porter

Das virtuelle Dasein hat auch seine Vorzüge: Ich kann alle Klamotten tragen, die mein Zeichner zeichnen kann. Jedes Stück ist ein Unikat. Bei Mode für greifbare Menschen geht das auch, ist aber teuer. Individualisierte Massenfertigung ist nicht nur ein Oxymoron, es ist ein Thema, an dem Designer schon seit längerem rumtüfteln. Damit es zukunftsträchtiger klingt, nennen sie es Mass Customization. Die ersten Ansätze kann man bei den unzähligen Konfiguratoren im Internet sehen, wie zum Beispiel bei Autos oder Möbeln. Bei der Mode ist das ganze noch etwas experimenteller – aber experimentell lieb ich ja! Ein schönes Experiment betreiben Jenna Fizel und Mary Haung von Continuum Fashion in New York. Man kann am Bildschirm ein Kleid zeichnen, welches dann in viele kleine Dreiecke zerlegt wird. Diese werden zu Schnittmustern umgerechnet, mit einem Plotter oder Laserschneider zugeschnitten, vernäht und fertig ist das futuristische Kleid.


Der Designer gibt die Parameter und Regeln vor, anhand derer der Kunde etwas gestalten kann. Das Ergebnis ist individuell, spricht aber trotzdem die gleiche Formsprache. Designern, die alles bis ins Detail gestalten wollen, jagt das Angst ein.


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Es ist jedoch eine große Herausforderung, einen Teil der Kontrolle über die Gestaltung abzugeben. Es entspricht auch der Identitätsfindung des Trägers, der einerseits sich über seine Kleidung mit seinem Umfeld identifizieren, andererseits sich jedoch auch individualisieren will.


[vimeo http://vimeo.com/17253049]


Nicht so individuell, dafür aber in seiner Herstellung futuristisch: Der N21 Bikini. Er wird komplett mit einem 3D-Drucker gefertigt. Das massive Nylon 12, aus dem er erstellt wird, ist belastbar und flexibel. Durch das Druckverfahren können so Strukturen gefertigt werden, die man mit herkömmlichem Garn nie schaffen könnte.


Der Bikini kann bei shapeways.com angefertigt werden, ist aber leider noch recht teuer. Individuelle Produktion ist eine schlaue Sache. Man muss nicht mehr Mode auf Halde produzieren und alle Größen vorrätig halten, sondern kann nach Bedarf einzelne Stücke herstellen. Ich will ja nicht wissen, wie viel unverkaufte Kleidung jedes Jahr in den Müll gehen. Neben geringerem Rohstoffverbrauch ist ein weiterer Vorteil, dass Waren nicht mehr in großen Fabriken zentral gefertigt werden müssen, sondern kleine lokale „Manufakturen“ in der Lage sind, auf Abruf zu produzieren und zu liefern. Das hält Transportwege kurz, verringert Lagerkosten und bedarf keiner Kinderarbeit.


Diese Konzepte sind noch lange nicht ausgereift, aber es steckt sehr großes Potenzial darin. Und in diesem Fall sehen sie auch noch verdammt heiß aus! Und zum Glück kann ich mich einfach in die Klamotten rein malen lassen.


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[vimeo http://vimeo.com/24435512]


(Fotograf: Ariel Efron, Modell: Bojana Draskovic, teilweise dorifiziert)

Mittwoch, 15. Juni 2011

Vorwerfen um des Vorwerfens willen



Einfache Frage: Fällt durch die Kehrtwende der CDU in Sachen Atom eine wesentliche Hürde für eine schwarz-grüne Koalition? Einfache und ehrliche Antwort, der wohl keiner widersprechen mag: Ja. Mehr hat der grüne Landesvater Kretschmann nicht gesagt. Alles was er danach relativierend gesagt hat interessiert keinen, denn das lenkt von der Story ab: Kretschmann bandelt mit der CDU an. Dass das Unfug ist, interessiert kaum jemanden in der Presse, denn dann wäre die schöne Neuauflage der Debatte und somit die Story futsch. Eine Suggestivfrage reicht, um eine blödsinnige Debatte und Artikellawine auszulösen, und alle machen mit. Ich erwarte von der seriösen Presse, dass sie mal nicht auf den Zug aufspringt sondern solchen aufgeblasenen Debatten die Luft aus den Segeln nimmt. Da kann ich offensichtlich lange warten. Oder selbst was schreiben.

Und das Herr Kretschmann Frau Merkel zum Atomausstieg großen Respekt zollt, ist ein Zeichen von Größe. Es ist egal, warum die CDU so schnell ihre Ansichten geändert hat. Alles was zählt ist der Ausstieg. Natürlich müssen die Grünen sehr genau hinschauen, ob das keine Mogelpackung ist. Aber auch hier finde ich es befremdlich, wenn der CDU Unglaubwürdigkeit vorgeworfen wird. Ganz allgemein: Wenn man es schafft, den Gegner von etwas zu überzeugen, dann sollte man darauf verzichten, ihm vorzuwerfen, er habe seine alte Position verlassen. Vorwerfen um der Vorwerfen willen mag eine beliebte politische Taktik sein, macht den Vorwerfer aber unglaubwürdig. Ich habe die Nase voll von politischen Spielchen. Und einer Presse, die emsig mitspielt.

Sitzblockade im Landtag



Jetzt sind die Grünen endlich an der Regierung, doch das Großbauprojekt Stuttgart 21 wird immer noch gebaut! So empören sich viele, zum Beispiel die Radikalinskis unter den Bahnhofsgegnern. Oder die Grünengegner – sie prangern gebrochene Wahlversprechen an. Ja was erwarten die denn? Das die Grünen Sitzblockaden im Landtag veranstalten? Das sie der Rechtsstaatlichkeit einen Tritt in den Hintern verpassen, Hauptsache oben bleiben? Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Grüner Wahlversprechen abgegeben hätte, die sich außerhalb des gesetzlichen Rahmens bewegen würden. Natürlich muss die Polizei auch bei einer grünen Regierung Sitzblockaden auflösen. Doch genau daraus versuchen ihnen populistische Medien wie die Bild einen Strick zu drehen.  „Auch grüner Ministerpräsident lässt Blockade räumen“ ruft sie empört ihren Lesern entgegen. „Für die Grünen-Regierung räumten 100 Einsatzkräfte die Baustelle ...“ schreiben sie weiter. Werden auch Strafzettel im Auftrag der Grünen-Regierung ausgestellt? Wer die Unwissenheit seiner Leser über die Funktionsweise des Landes nicht nur ausnützt, sondern auch noch schürt, macht sich der Volksverdummung und Hetze schuldig. Das ist unverantwortlich und eine Schande für den Journalismus.

Die Grünen sind an der Regierung und sie nutzen alle rechtsstaatlichen Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, um die Übel des drohenden Erdbahnhofs vom Land abzuwenden. Nicht mehr, nicht weniger. Für die außerparlamentarische Opposition sind andere da.

Montag, 13. Juni 2011

Stuttgarts ehrlichste Kackbude



Ehrlichkeit ist eine feine Sache, auch wenn sie schonungslos ist. Bei diesem Klohäuschen am Wilhelmsplatz kann man gleich erkennen, was einen erwartet, wenn man 50 Cent für den Besuch bezahlt. Neugierig wie ich bin, hab ich eine Münze eingeworfen, wurde aber enttäuscht – die Kackbude war außer Betrieb, das Geld fiel durch. Vielleicht ist das auch besser so. Ich bin dann ins La Concha gegangen um das dort getrunkene Bier wieder in den Wasserkreislauf zurück zu führen.

Zuvor erschienen auf brezel.me

Samstag, 11. Juni 2011

Medea

Immer nur virtuell nervt auf Dauer auch, denk ich mir und gehe mal wieder ins Theater. Hier ist die Illusion greif- und unmittelbar. Besonders schön, wenn Freunde etwas inszenieren, in diesem Fall Ulrike und Velemir. Ob Malerei, Puppenspiel, Schauspiel oder Musik, die beiden schaffen es immer wieder, die Welt in einen magischen Ort zu verwandeln.

Ihr neuestes Stück „Medea“ wurde gestern im Theaterhaus uraufgeführt. Sie haben den klassischen Stoff modern umgesetzt. Da ich wahrlich keine Fachfrau für klassische Stoffe bin, will ich über die Adaption nicht weiter rumklugscheißen, mich interessiert viel mehr, was das Stück mir sagt. Und da ist es manchmal von Vorteil, Banausin zu sein. Ich kann mich viel unbeschwerter in das Stück vertiefen. Das Inszenierungsrumgekrittel überlass ich den Theaterkritikern, die dafür ihre eigenen Maßstäbe haben.

Handlungsort ist eine Dystopie, ein technokratischer Überwachungsstaat, beherrscht und unterdrückt von Kreon, einem skrupellosen Machtmenschen. Medea, eine Redakteurin der alles andere als freien Zeitung "Grenzenlose Wahrheit" bemerkt, dass Kinder im Land verschwinden. Ihr Chef Max warnt sie davor, das Thema zu verfolgen. Zuhause droht der nächste Ärger: Jason, ihr Gatte, fürchtet den sozialen Abstieg und will Kariere machen, um jeden Preis. Als Despot Kreon ihm einen hohen Posten verspricht, sagt er zu. Doch dazu muss er dessen Tochter, die eiskalte, im Reaktor erschaffene Glauke ehelichen. Währenddessen entdeckt Medea, dass die verschwundenen Kinder von der Regierung zur Prostitution gezwungen werden. Glauke fordert währenddessen Jason dazu auf, ihr seine Kinder zu bringen, was der verängstige Karierist dann auch tut. Medeas systemkritischen Nachforschungen fliegen auf, sie wird verurteilt und erschossen. Fast. Sie überlebt, besinnt sich ihrer Zauberkräfte und wirft das System in Chaos. Danach rettet sie ihre Kinder und will fliehen.

Dystopien zeigen gefährliche Entwicklungen in der gegenwärtigen Gesellschaft auf. In diesem Stück wird neben der üblichen Medien-, Technologie- und Überwachungskritik das Augenmerk auf Kinder gelegt. Im technokratischen Staat Kreons sind sie eine Ressource, die so effektiv wie möglich ausgebeutet werden muss. Unsere Gesellschaft ist auf dem besten Weg dort hin. Kinder werden immer früher eingeschult, müssen in immer kürzerer Zeit ihren Stoff lernen. Da bleibt wenig Freiraum zum Spielen.

Nicht nur das System übt heute Druck auf die Kinder aus, auch der Erwartungsdruck der Eltern steigt. Früh übt sich, wer Karriere machen soll. Schon in der Kita wird zweisprachig erzogen. Um den höheren Druck gerecht zu werden, werden in Deutschland jedes Jahr drei Milliarden Euro für Nachhilfe ausgegeben. Wenn die Bälger einen eigenen Kopf haben, dann gibt's eine Runde Ritalin und es ist Ruhe im Karton. Hauptsache man kommt ohne große Umwege so schnell wie möglich ins Arbeitsleben. Da bleibt den Kindern kaum noch Zeit und Muse, sich selbst zu entdecken, Umwege zu machen, auszuprobieren. Und da bleibt auch einiges auf der Strecke, wie zum Beispiel die Entwicklung eines gesunden Charakters. Wie viele Genies unserer Geschichte würde man heute als Kinder schon chemisch ruhig stellen? Wo wäre unsere Kultur ohne die Unangepassten, die Querschläger und -denker?

Burnout lautet immer häufiger die Diagnose bei überforderten Kindern. Sie leiden an Depressionen, weil sie Angst haben, den Erwartungen nicht gerecht zu werden. Doch wozu ist das gut? Um noch schneller in der globalisierten Welt mithalten zu können. Um unzählige kleine Zahnrädchen für ein reibungsloses System zu schaffen, das noch mehr Dinge produziert, deren Bedarf erst noch geweckt werden muss.

Alle reden vom Fortschritt. Doch was schreitet eigentlich voran? Macht er uns glücklicher? Sind unsere Leben erfüllter? Kann etwas glücklich machen, dessen Preis das Unglück ist? Wir wissen die Antwort, irgendwo ganz tief verschüttet. Verschüttet von der Angst, vom vermeintlichen Fortschritt abgehängt zu werden. Ab und an lohnt es sich mal inne zu halten und zu überlegen, was Glück für einen wirklich bedeutet. Zu hinterfragen, wohin das eigene Streben führt, ob die Ziele den Preis wert sind, die sie einem abverlangen.

Das hört sich jetzt nach handelsüblicher postmaterialistischer Antikapitalismusnölerei an, und das ist es auch. Wir alle haben diese Werte mehr oder weniger schon mit der Muttermilch eingeflößt bekommen und können uns auch nicht so leicht von ihnen lösen. Aber man muss ja nicht gleich über den eigenen Schatten springen, manchmal reicht es auch schon, sich des Schattens bewusst sein.

Das Theaterstück von Ulrike und Velemir hat mich daran erinnert, meine eigenen Werte und Ziele mal wieder zu überdenken. Und daran, dass meine Kindheit noch lange nicht abgeschlossen ist.

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Fotos: Martin Zentner

Ulrike Stegmiller: Schauspiel, Figurentheater
Velemir Pankratov: Schauspiel, Figurentheater, Musik, Puppenbau, Konzeption des Stückes
Daniel Oberegger: Filmschnitt, Schauspiel 
Till Sarach: Musik
Wilfried Kessler: Regie 

Freitag, 10. Juni 2011

RaumWelten 2011

[caption id="" align="aligncenter" width="584" caption="Foto: Susanne Wegner"][/caption]


Tipp für heute Abend:

Drei sehr von mir geschätzte Fotografen haben sich mit der Urbanität Stuttgarts auseinandergesetzt und stellen gemeinsam in Markos Gallerie „Schacher – Raum für Kunst“ aus.

[caption id="" align="aligncenter" width="592" caption="Foto: Josh von Staudach"][/caption]


http://www.susannewegner.de/raumwelten2011.html

http://www.joshvonstaudach.de/raumwelten2011/

http://www.peterfranck.de/

Einführung: Winfried Stürzl M.A.

Ausstellungsdauer: 11. Juni bis 9. Juli 2011
Öffnungszeiten: Di–Fr 14–19 Uhr, Sa 11–16 Uhr

Ort: Galerienhaus, Breitscheidstr. 48, 70176 Stuttgart
www.galerie-schacher.de

Dienstag, 7. Juni 2011

Laetitia

Sollte mich jemand fragen, welche Musik der Soundtrack meines Lebens sein sollte, dann würde ich keine Sekunde überlegen. Seit ich Mitte der Neunziger auf Stereolab gestoßen bin vergingen nur wenige Tage, an denen ich die Band nicht gehört hab. Klingt komisch, kann ich aber erklären. Stereolab hat eine magische Fähigkeit. Während man sich an jeder anderen Band früher oder später überhört ist mir das bei Stereolab noch nie passiert. Im Laufe der 19 Jahre die die Band bestand haben sie einen halben Regalmeter Platten veröffentlicht, alles von hypnotischem Gitarrengeschrammel bis experimentellem Elektronikgeschraube. Bei der ganzen Bandbreite gibt es eine Konstante: Laetita Sadier. Die Sängerin und Texterin ist mit ihrer wunderschönen Stimme das akustische Sahnehäubchen der meiner Ansicht nach großartigsten Band der Welt. Neben Stereolab hatte Laetitia auch ihr eigenes Projekt: Monade. Ähnliche Richtung, weniger komplex, etwas rauher und herzlicher, auch große Klasse. Stereolab und Monade gibt es nicht mehr, Laetitia hat ein Soloalbum herausgebracht und geht jetzt ohne Begleitmusiker auf die Bühne. So zum Beispiel gestern Abend in Stuttgart in den Club Schocken, beliebter Anlaufpunkt für Motor-FM-Hörer.

Ob es am drohenden Gewitter liegt oder daran, dass es Montag ist, weiß ich nicht. Es sind jedenfalls nur 30 Leute im Raum, als Laetita Sadier die sehr karg eingerichtete Bühne betritt. Ein Fender-Gitarrenverstärker, ein Mikrophon, ein Effektgerät, eine Setlist, eine Wasserflasche und natürlich Laetitia mit ihrer Gitarre, eine linksherum gehaltene Gibson SG. Während Stereolab wie ein wandelnder Musikalienhändler daherkam reist Laetitia nur mit Handgepäck. Sie legt los und sich an. Mit dem ersten Lied. Das will nicht. Nach mehreren erfolglosen Versuchen der Gitarre die richtigen Akkorde zu entlocken gibt sie auf, geht zum nächsten Lied über. Nach drei Lieder ist sie warmgespielt. Laetitias Gitarrenspiel ist nicht virtuos, muss es aber auch nicht sein, denn es muss nur ihre Stimme begleiten. Und die ist der Star des Abends. Sie spielt Lieder ihres neuen Albums sowie einiges von Monade. Die Abwesenheit der Bands, die auf ihren Platten zu hören sind, verleiht den Liedern einen eigenen Charakter. Manchmal fehlt was, manchmal kommt etwas zu Vorschein, was mich total bezaubert. Wie auch ihr leiser, aber überwältigender Charme. Die Jungs im Publikum stehen trancehaft im Raum, einer verliebter als der andere. Wäre ich selbst einer, täte ich es ihnen gleich. Laetitia hätte von mir aus die ganze Nacht noch singen können, mein Zeitgefühl ging verloren. Hat sie aber nicht, zwei Zugaben und sie verlässt die Bühne, verkauft noch ein paar CD mit persönlicher Widmung und entschwindet.

Ich muss wohl ein Sonderling sein, wenn mein persönlicher „Superstar“ gerade mal 30 Leute anzieht. Das hat aber auch was Schönes, denn wer kann denn sonst schon so nah an sein Idol rankommen? An alle Stuttgarter Sonderlinge, die nicht da waren: Ihr habt was verpasst. Letzte Chance: Heute in Frankfurt in der Brotfabrik, morgen in Münster im Gleis 22 oder übermorgen in Heidelberg im Karlstorbahnhof könnt ihr sie sehen. Oder am 13. in New York.

Etwas genauer auf das Konzert geht Bloggerkollege Lino im Gig-Blog ein, der sie im Vorfeld auch schon interviewt hat.

Auf jeden Fall lohnt es sich, die Soloplatte „The Trip“ zu kaufen.

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Fotos: Martin Zentner

PS: Falls sich jemand je fragte, woher ich meinen Zweitname habe, kennt jetzt die Antwort.

Samstag, 4. Juni 2011

Der goldene Vogel der Erkenntnis

Jetzt reicht's erstmal mit schwerer Kost hier, sonst könnte man noch meinen das sei hier ein politischer Blog mit moralapostolischem Auftrag. Klar hab ich schon den nächsten Klopper in der Mache, aber ich hab mich in der letzten Woche genug mit Volksfronten und jenen, die sich verwehren als solche bezeichnet zu werden gerauft. Da zeig ich doch lieber mal was Nettes, zum Beispiel ein neues T-Shirt, dass ich erfunden hab und das natürlich auch gekauft werden kann. "Der goldene Vogel der Erkenntnis" ist eine Mischung aus Doppelkopfvogel, Reptil und Geäst, das aus ihm selbst entwächst. Er schmückt den Damenbauch und kann auch zu roten Fingernägeln getragen werden. Das T-Shirt wurde inspiriert durch Humberto Maturana, der mich in der Erkenntnissuche ein paar Haltestellen mitgenommen hat und ist Dagi gewidment, von der ich die Weisheit der grundlosen Freude gelernt hab und die mir Humberto vorgestellt hat.

PS: Ich hab grad gesehen, dass ein T-Shirt verkauft wurde. Wer auch immer es hat, darf mir gerne ein Bild von sich im Shirt schicken. Das würde mich freuen. Noch verkauf ich nicht so viel, was auch an mangelnder Werbung liegt. Da freu ich mich über jedes Hemdchen, dass irgendwo jemanden kleidet und vielleicht sogar glücklich macht.

[caption id="" align="alignnone" width="280" caption="Goldener Vogel der Erkenntnis, mit V-Ausschnitt Lang geschnittenes, körperbetontes T-Shirt für Mädchen, 100% Baumwolle, Marke: Continental Clothing, €21,-"][/caption]

Freitag, 3. Juni 2011

Nach der Wahl ist vor der Wahl



Liebe CDU,
wir sehen ja ein, dass es nach 58 Jahren schwer fällt, den Platz zu räumen. Aber die Wahl ist jetzt schon die eine oder andere Woche rum und die nächste kommt erst in fünf Jahren. Ein Bitte: Hängt das Plakat ab, bevor es vollkommen grün überwuchert wird.

Zuvor erschienen bei brezel.me

Mittwoch, 1. Juni 2011

Neues von der Spalterin





Auf den Artikel „Spalter!“ folgte einiges an Kritik, die für Außenstehende teilweise etwas kryptisch klingen mag. Kein Wunder: Einige Kommentare bezogen sich nicht auf meinen Artikel. Ich will hier mal ein bisschen Licht ins Dunkel bringen, dabei aber keine Namen nennen, weil das der Diskussion nicht zuträglich wäre. Ich möchte mich auch zu einigen Vorwürfen zum Thema Kritik äußern. In einem anderen Artikel („Schisma“) habe ich meine Erkenntnisse aus der Kritik zusammengefasst um eine Grundlage für das Finden von gangbaren Lösungswegen zu schaffen. Alles hier gesagte ist meine persönliche Einschätzung und erhebt weder Anspruch auf Vollständigkeit noch Objektivität. Die gibt es in dieser Sache nicht.

Ich war, wie das bei Facebook leider möglich ist, ungefragtes Mitglied einer geheimen Gruppe, die ich hier mal der Anonymität halber die Judäische Volksfront nennen will. Diese planten und führten eine Aktion durch, die ich im Nachhinein hinterfragt und in einer anderen geschlossenen Gruppe verurteilt habe. Das hatte meinen gerechtfertigten Rauswurf wegen Geheimnisverrat zur Folge, ich habe aber die Erwähnung der fragwürdigen Aktion auch wieder gelöscht. Der darauf hin entstandene Artikel hat davon nichts erwähnt, wurde jedoch von den Mitgliedern der Judäischen Volksfront wohl (teilweise zu Recht) auf sich bezogen empfunden und somit als Affront gesehen. Da ich einige Mitglieder dieser Volksfront persönlich sehr schätze habe ich weiterhin darauf verzichtet, Ross und Reiter zu nennen. Nichts desto trotz hagelte es Kommentare, in denen mitunter versucht wurde, die Aktion zu rechtfertigen. Wenn man nicht möchte, dass etwas an die Öffentlichkeit gerät, dann ist das wohl der Falsche Weg. Und wenn alles im Lot wäre, warum dann die Angst, das etwas thematisiert wird? Auf jeden Fall war mein Artikel keine explizite Replik auf das Verhalten der Judäischen Volksfront, wurde dadurch aber ausgelöst. Das Thema geisterte schon viel länger in meinem Kopf und in Gesprächen mit anderen rum. Die Reaktionen aus der Judäischen Volksfront bestätigen meine Beobachtungen.

Ich freue mich über die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem, was ich hier so von mir geb. Andere Meinungen sehe ich als Chance meinen Horizont zu erweitern. Wer diesen Blog hier verfolgt weiß, dass ich keine Diskussion gescheut habe. Voraussetzung für einen konstruktiven Dialog ist jedoch die Bereitschaft, dem anderen zuzuhören, darüber nachzudenken und eine reflektierte Antwort zu geben. Vorgekautes aus dem großen Schrank der Parolen ignoriere ich auch mal, da es niemanden weiterbringt. Außerdem: Beleidigungen sollten bitte halbwegs geistreich sein. Einige Kommentare zu meinem letzten Artikel unterstellten diesem Inhalte, deren Abwesenheit nur jemand bemerkt hätte, der ihn gelesen hat. Diese Form des Kommentars ist Zeitverschwendung und diskreditiert seinen Verfasser. Ich bin mir auch sicher, dass nicht jeder diesen Artikel über seine zugegebenermaßen lange Strecke aufmerksam liest. Kommentare, die auf Ignoranz des Kommentierten schließen lassen, kann ich bei bestem Willen nicht ernst nehmen.

Ich habe übrigens schon oft bemerkt, dass jene die interne Kritik für illegitim halten, gerne über die nachlassende Demobegeisterung anderer herziehen. Da werden zwei Maßstäbe an ein und das selbe angesetzt.

Ich hoffe, dass die Diskussion etwas an Sachlichkeit gewinnt.

Schisma

Mein letzter Artikel hat offensichtlich eine Menge Leser bewegt. Die einen waren dankbar, dass jemand die Kritik an der Entwicklung des Widerstands gegen das Stuttgarter Großprojekt Stuttgart 21 endlich mal auf den Tisch bringt, andere echauffierten sich. Auch wenn es hier um ein lokales Problem geht, kann man alles Gesagte auf andere Bewegungen anwenden.

In den Kommentaren wurde einerseits über meine Motivation, andererseits über die Auswirkung des Artikels spekuliert. Dabei haben sich zwei interessante und eine in Kauf genommene Positionen herauskristallisiert: Die einen sind der Meinung, dass das Gesagte mal gesagt werden musste, da ihrer Ansicht nach die Bewegung wachgerüttelt gehört. Die anderen sehen darin ein Fall von Selbstzerfleischung des Widerstands, der sich nur mit dorischer Profilierungssucht erklären lässt. Die S21-Befürworter sahen sich in ihrer Protestkritik bestätigt.

Zu meiner Profilneurose: Wollte ich mich profilieren, dann hätte ich mich voll und ganz auf eine Seite geschlagen und auf die andere eingedroschen. Das hätte vielen gefallen, sie hätten mich vielleicht sogar dafür bewundert und wären mir gefolgt. Meine Feinde wären klar identifizierbar gewesen und ich hätte die volle Unterstützung meiner Seite gehabt. Hab ich aber nicht. Stattdessen hab ich einen Eklat produziert, viele Leute haben mir den Rücken zugekehrt, mich persönlich angegriffen und zur Persona non grata erklärt. Manche pflegen ein rebellisches Image, fühlen sich erst wohl wenn sie keiner mehr mag. Sie provozieren auch gegen ihre eigene Meinung. Um des Provozierens willens. Wer diesen Blog kennt, kann sich selbst ein Bild von mir machen.

Natürlich profiliere ich mich in meinen Texten. Sonst würde ich keinen Blog unter eigenem Namen schreiben. Jeder, der seine Meinung öffentlich verbreitet, schärft damit sein Profil. Egal ob in Facebookkommentaren oder auf der Montagsdemobühne. Wenn das Gesagte ins eigene Weltbild passt, dann wird das toleriert und „gefällt mir“ gedrückt, respektive „oben bleiben“ geschrien. Wenn nicht, dann gibt's was auf die Mütze. Der Vorwurf, nur aus Wichtigtuerei einen kontroversen Kommentar zu veröffentlichen, nehme ich keinem ab, der selbst aktiv an der Kommunikation teilnimmt. Handelt es sich bei diesem Vorwurf um den Versuch, sich vor der sachlichen Diskussion zu drücken in dem man das Gegenüber diskreditiert? Nicht immer.

Es gibt auch eine andere Interpretation: Zwei Weltsichten prallen aufeinander. Das ist man ja schon gewohnt, wenn es um die Bahnhofsfrage und die zugrunde liegenden Wertvorstellungen geht. Irritierend ist es, wenn sich innerhalb einer Gruppierung ein Schisma auftut. Jede Seite ist weiterhin im vermeintlichen Besitz der Wahrheit und kann die Kritik der anderen Seite nicht nachvollziehen. Das Resultat: Endlose Diskussionen, die daran scheitern, dass man von unterschiedlichen Grundannahmen ausgeht.

Wenn die andere Position dadurch so fremd wird, dass man deren Sachlichkeit nicht mehr anerkennen kann, ist es schon nachvollziehbar, dass man den Urheber in Frage stellt. Offensichtlich ist das bei meiner These für einige der Fall. Anstelle wie wild weiter zu diskutieren muss ich mal inne halten und überlegen, welche unterschiedlichen Annahmen dem Schisma zu Grunde liegen. Wo unterscheidet sich meine Sichtweise von der meiner neuen Opponenten? Da ich immer nur von mir selbst ausgehen kann ist das keine triviale Frage. Aber ich will mich mal an ihr versuchen. Bitte korrigiert mich, wenn ich total daneben liege. Oder legt mir selbst eure Sichtweise dar.

Streitbar ist das Thema Zweck. In wie fern heiligt er die Mittel?
Wenn die Gegenseite mit unlauteren Mitteln strategisch gegen den Widerstand vorgeht, würde man den Kampf verlieren, wenn man stets sauber bleibt. Man muss selbst strategisch handeln um überhaupt eine Chance zu haben. Dazu gehört auch, dass man im Verborgenen handelt und notfalls auch manipuliert. Das ist nicht schön, aber leider notwendig. Gemessen an den Mauscheleien der Tunnelparteien ist das alles Pillepalle. Außerdem profitiert keiner davon, man tut es ja für eine gute Sache, nicht für die eigene Tasche. Die unterschiedliche Motivation ist Basis einer unterschiedlichen moralischen Wertigkeit des Handelns beider Parteien. Wer mit dem Zeigefinger auf die eigenen kleinen Tricksereien zeigt, sollte lieber bei der Gegenseite die großen Sauereien suchen. Letztendlich geht es darum, die Stadt vor den Eigeninteressen korrupter Politiker und Unternehmer zu schützen.

Dieses halbwegs utilitaristische Handlungsprinzip ist nachvollziehbar, soll es doch den größtmöglichen Nutzen nach sich ziehen. Ich gebe jedoch zu bedenken: Wer trickst oder verheimlicht macht sich unglaubwürdig. Eine große Stärke des Protests war doch, dass er offen und ehrlich war. Das Gemauschel der Mächtigen war eben jener Grund, der die Leute auf die Straße gebracht hat. Wenn Aktionen hinter verschlossenen Türen geplant und deren Teilnehmer zur Verschwiegenheit angemahnt werden, dann werden andere stutzig. Man darf sich halt nicht erwischen lassen. Das ist aber leider nicht zu vermeiden, wenn zu viele Menschen beteiligt sind, die obendrein selbst noch Zweifel hegen. Es gilt abzuwägen: Rechtfertigt der Nutzen einer Aktion das potenziell verspielte Vertrauen? Rechtfertigt es unter Umständen die Einschüchterung Beteiligter um deren Geschlossenheit zu garantieren?

Andere sagen ja, ich sage nein.
Nun kann es ja mal passieren, dass man im Eifer des Gefechts in der Wahl der Mittel über das Ziel hinaus schießt. Ist es dann gerechtfertigt, im Nachhinein die Aktion zu verurteilen, schlimmstenfalls sogar außerhalb der Gruppe? Es wäre dabei ja nichts gewonnen, nur Unfriede gesät und unter Umständen dem Gegner eine Blöße gegeben. Jeder soll auf seine Weise politisch aktiv sein, niemand hat das Recht, über andere zu urteilen. Wenn einem die Mittel nicht passen, dann muss man ja nicht mitmachen.

Die Freiheit des einzelnen oder Gruppen von ihnen so zu handeln wie sie wollen wiegt schwer. Dem potenziellen Kritiker bleibt nur die Möglichkeit sich schweigend zu distanzieren. Die Gefahr besteht darin, dass ein kontroverser Diskurs innerhalb der Bewegung unmöglich gemacht wird. Kritische Meinungsäußerungen werden als Verurteilung verurteilt, sind nicht erwünscht. Kommunikation dient dann nur noch dem gegenseitigen Schulterklopfen und der Schmähung des Feindes. Oder sie entfällt.

Es gibt bestimmt noch viele andere Punkte wo grundsätzliche Ansichten divergieren. Zum Beispiel die Frage ob es legitim ist, zur Vereinfachung der hochkomplexen Thematik alles schwarzweiß zu zeichnen und auf „wir“ und „die“ zu reduzieren, aber das führt jetzt zu weit, ich glaube ich habe das Grundprinzip des Problem ausreichend erörtert.

Doch wie findet man nun eine Lösung? Sollen nun alle den Mund halten und jeder für sich selbst so vor sich hinprotestieren, oder sollten wir riskieren in internen Auseinandersetzungen das gemeinsame Ziel aus den Augen zu verlieren? Gibt es überhaupt eine Lösung, oder ist sie überhaupt erwünscht? Ich weiß es nicht, mach mir aber Gedanken dazu und freue mich über jeden konstruktiven Beitrag. Egal ob von der Juchtenkäfer-Volksfront, den naiven Gutmenschen oder den Erdbahnhofsfreunden. In der Diskussion sind wir alle gleich.

Ich kann hier nur für mich sprechen. Ich beobachte mein Umfeld, beurteile, verurteile, kritisiere und gebe meinen Senf dazu – öffentlich. Das ist der Sinn dieses Blogs. Ich lasse mich nicht in eine Kiste stecken und versuche allen Seiten gegenüber im selben Maße kritisch zu bleiben. Ich habe eine Position, doch die bestimme ich jeden Tag aufs neue. Also Obacht, liebe Volksfronten: Ich bin eine potenzielle Spalterin, unkontrollierbar und geschwätzig. Wen ihr was zu verbergen habt, dann verbergt es vor mir.