Mittwoch, 16. Dezember 2009

Bitte kritisieren!


Ich bin mal wieder durchs Internet geschwommen und hab meine alten Kumples, die Designer, gefunden. Hier wird die eine oder andere Plattform von Idealisten betrieben, Platz für kommerzielle Angebote scheint national keiner da zu sein. Und die etablierten Printmagazine stöhnen unter Druckkosten und ausbleibenden Anzeigen, die wollen sich nicht auch noch online selbst den letzten Leser rauben. Ich hab ja mal ernsthaft ein Onlinedesignmagazin mit ein paar Freunden und Kollegen geplant, doch das liegt derzeit auf Eis. Immerhin gibt es ein Konzept und eine Platzhalterseite, die - wer weiß - irgendwann durch eine Startseite ersetzt werden könnte. Hut ab vor jenen, die sich die Zeit nehmen um etwas ins Netz zu stellen. Da wären zum Beispiel die Kritiker von designkritik. Die freuen sich über Kommentare, da sie den Diskurs suchen. Hier gehts zum Glück mal nicht um scrollbare Schaufenster sondern um Design an sich. Man stolpert alle paar Meter über altbekannte Themen wie Designdefinition, Selbstverständnis und das omnipräsente und brechtigte Gefühl, als Disziplin nicht ernst genommen zu werden. Man fühlt sich nunmals nicht wohl, wenn man mit Nagelstudios und dergleichen in eine Schublade gesteckt wird, wäre man doch viel lieber bei den Wissenschaftlern oder wenigstens bei den Ingenieuren. Die nimmt man ernst und Geld verdienen sie obendrein. Designer dürfen deren Arbeit nachher verpacken und sind deshalb angekäst. Ich könnte zu diesem Thema diesen Blog bis zum digitalen Rand füllen. Doch dazu müsste ich meinen Arsch hochkriegen und meinem eigenen Magazin Leben einhauchen. Bis dahin begnüge ich mich, rege an den Diskussionen anderer Medien teilzunehmen. Wer mitmachen will, soll sich in den Diskurs stürzen. Ich würde mich freuen.

www.designkritik.dk.
Kann man übrigens auch ohne Dänischkenntnisse verstehen, die Seite ist aus Berlin und freut sich wohl über das Kürzel dk.

Dienstag, 15. Dezember 2009

Schöner Leben in der Schublade


Mir könnten noch viele Facebook-Archetypen einfallen die ich zur Belustigung des sich selbst entdeckenden Lesers auflisten würde. Das werd ich, wenn mir die Laune danach steht auch tun. Das ist angewandtes Schubladendenken. Und das ist nicht so schlecht wie sein Ruf. Niemand möchte in eine Schublade gesteckt werden. Und trotzdem steckt jeder jeden in Schubladen. Das hilft Ordnung und somit Überblick zu behalten. Wir helfen ja auch den anderen, uns schnell einzuordnen. Durch Mode und Meinung identifizieren wir uns, verpassen uns Etiketten, die uns in die richtige Schublade führen. Was nervt ist, wenn die Schublade zugemacht wird und man darin versauert. Ist man falsch eingeordnet worden, liegt man da auf immer und ewig und wird nicht mehr gefunden. Also: Schubladen offen lassen, ab und zu gucken, ob alles am richtigen Platz ist.
Ich mag in der Regel Menschen lieber, die einen flexibles Schranksystem haben, in welchem Schubladen auch mal anders angeordnet und somit den jeweilgen Umständen angepasst werden können. Oder die einen im Zweifel um die korrekte Einordnung erst mal aufs Regal legen, um zu schauen, ob es überhaupt die richtige Schublade für mich gibt.
Mein Schrank ist ziemlich modular und chaotisch, die Schubladen stehen offen. Es sind nicht alle Tassen drin. Ich habe mein eigenes Ordnungssystem, dass andere nicht immer kapieren. Müssen sie auch nicht. Wenn es ihnen in meinen Schubladen nicht gefällt, können sie ja woanders hingehen. Aber ohne Schubladen gehts halt auch nicht.

Mittwoch, 9. Dezember 2009

Nörgler, Inaktivisten und Kuschelbärchis

Im letzten Artikel habe ich gefragt, wie ehrlich Onlineprofile sind und zu Bedenken gegeben, dass sie oft viel ehrlicher sind, als man denkt. Man liest ja auch zwischen den Zeilen und da steht natürlich viel mehr, als in den Kästchen, die man über sich aussfüllt. Das gilt für alle Plattformen, von Elitepartner über Xing bis Facebook. Facebook ist besonders interessant, weil dort besonders viele Zeilen sind, zwischen den man lesen kann. Ich mach mal eine kleine Liste verschiedener Typologien von Menschen, die mir da so aufgefallen sind:

Die Drei-Wetter-Taft-Frau
"Steffi Sonnenberg - back from shooting in L.A., tomorrow off to Berlin!"

Deine Statusmeldungen lesen sich wie die Aufschriften chicer Boutiquen: London, New York, Tokio. Jeder soll wissen, das du jetzt dem Jet-Set angehörst, überall gefragt bist. Meldungen postest du polyglott, meist in Englisch. Die anderen mit ihren drögen Büro-Jobs sollen ruhig ein bisschen neidisch sein.

Das Kuschelbärchi
"Karin Mußberg hat dir einen rosa Kuschelhabdichganzargliebbärchiherz geschickt"

Du magst deine Freundinnen fast so sehr wie deine Diddlmaussammlung, und dass sollen sie auch wissen. Jede Gelegenheit, sie mit total süßen Geschenken zu überhäufen nutzt du. Zum Glück mangelt es bei Facebook nicht daran.

Die Glücksnuss
"Tina Freiberg fragt den grünen Wurstmann was sich Petra Botnang zu Ostern wünscht: Einen räudigen Katz mit Senf und Mayo."

Dr. Wurstbrot verrät dir, dass Günther auf Latex steht, die Glückswurst hat erkannt, dass du heute neue Feinde finden wirst. Facebook weiß alles, und alle deine Kontakte auch. Du musst dir keine schlauen Sprüche ausdenken, dass macht schon irgendeine Applikation für dich. Doofe Kommentare gibts trotzdem immer. Praktisch!

Die Zwangskreative
"Nora Hasenwald - optimiert ihre Lebenslüge"

Du glaubst, du seist schlauer und lustiger als die anderen. Du reist dir den Arsch auf um auf Teufel komm raus unkonventionell rüber zu kommen.

Der Gläserne Mensch

"Mark Gaisburg - geht mal kurz auf die Toilette"

Das Netz ist dein Tagebuch, du bist Schäubles bester Freund. Jeder darf an deinem Leben teilhaben. Auch unterwegs, dank iPhone.

Der Tamagotchi
"Anna Rohrs Hasenstall hat die 7. Stufe erreicht."

Du kannst Facebook nicht alleine lassen, sonst verhungern deine Hasen, dein Bauernhof wird geplündert und deine Amazone wird von Orks gefressen. Jedesmal wenn dein virtueller Hasenstall neue Pixelhäschen hervorbringt müssen alle Freunde das erfahren. Was machst du nur, wenn du im Urlaub nicht online kommst?

Der Klugscheißer
"Markus Heusteig - Ich glaube die Diskrepanz zwischen virtuellem Profil und real erlebter Person liegt am divergierendem Grad der Abstraktion ...

Du kennst alle Fremdwörter führst sie gerne Gassi. Jeder soll sehen, dass du nicht nur intelligent, sondern intellekuell bist. Mit Facebook setzt du dich natürlich auf einer höheren Ebene auseinander, suchst den Diskurs und bist enttäuscht, wie wenig reflektiert die anderen dieses Medium nutzen. Deine Kommentare sind immer länger als ins Fenster passt.

Der Nörgler
"Horst Häslacher - Habt ihr eigentlich nichts besser zu tun, als die Länge eurer Kackwurst du posten?"

Du regst dich höllisch auf, mit was die Leute hier ihre Zeit verschwenden und mit was für Banalitäten sie dabei alle anderen belästigen. Und überhaupt: Wer sich hier alles so Freund nennt! Du bist doch nicht mit jedem befreundet, der dich hier anschreibt! Du lehntst ja fast alle Anfragen ab. Du hast es nicht nötig, deine Freunde online zu sehen, du triffst sie natürlich immer offline. Wenn du grad mal Zeit hast. Dann redest du mit ihnen über's Wetter.

Der Inaktivist
"Maike verwendet Facebook jetzt auf Deutsch"

Leeres Profil und maximal drei Freunde. Du wurdest mal von einem dieser eingeladen, hast dich angemeldet und mittlerweile das Passwort vergessen. Oder das du überhaupt ein Profil hast.

In Facebook Veritas


Im Mai hab ich mich hier mit dem Thema Online-Profil auseinander gesetzt (Artikel) und bin zum Schluss gekommen, dass Onlineprofile eine weitere Ausdrucksform sind, die nicht "unrealistischer" als Ausdrucksformen in Fleisch und Blut wie zum Beispiel Kleidung sind. Nur der Grad der Abstraktion variiert natürlich. Zu eben diesem Thema habe ich mit einigen in Facebook diskutiert und bin oft auf die Meinung gestoßen, die meisten verstecken sich hinter Profilen, die nur wenig mit ihnen selbst zu tun haben. Das wird als unehrlich empfunden. Ist es aber nicht.
These: Virtuell sind die meisten ehrlicher als in Fleisch und Blut.
Von Angesicht zu Angesicht ist ein großer Teil unserer Kommunikation unterbewusst. Gesten, Sprache, Geruch lassen sich nicht sonderlich gut kontrollieren. Virtuell haben wir die volle Kontrolle, da alle Äußerungen durch einen engen, digitalen, sehr rationalen Kanal gepresst werden. Niemand sieht, ob wir entspannt oder nervös meine Statusmeldung in meine Tastatur hämmer. Das gibt uns das trügerische Gefühl der totalen Kontrolle über unser Außenbild. Außerdem schaut das Internet nicht zurück - das Feedback kommt, wenn überhaupt, indirekt. Wir fühlen uns sicher. Wir posten, was uns gerade so durchs Hirn furzt oder was wir schon immer mal sagen wollten. Wieviel von dem, was wir da sagen, würden wir außerhalb des virtuellen Raum von uns geben? Hier kommt die Diskrepanz zwischen virtuell und materiell, die viele anprangern, ins Spiel. Wir erfahren virtuell plötzlich Dinge über andere und entdecken Wesenszüge bei ihnen, die wir auf der Straße nie erfahren hätten. Dort hätten sie sich nicht getraut, ihr Gesicht zu zeigen.
Meine oben postulierte These kann man natürlich so nicht stehen lassen, aber es ist ein Denkansatz. Bitte beobachtet mal selbst, wie ihr den "Wahrheitsgehalt" an beiden Enden der Diskrepanz zwischen on- und offline beurteilt. Wahrscheinlich vergleiche ich hier sogar Äpfel mit Birnen. Ich selbst glaube weiterhin meiner alten These, dass virtuelle Repräsentation und physisches Erscheinen zwei äquivalente Facetten der Selbstdarstellung sind, denen man keine unterschiedlichen Wahrheitsgehalte zuweisen kann.