Wenn zwei sich nicht einig werden, dann muss man schlichten. Wenn man so tun will, als ob man die andere Partei verstehen wollte, dann spielt man Schlichtung und sorgt dafür, dass sie zu eigenen Gunsten ausgeht. Wenn nicht, dann nimmt man sie halt nicht ernst. Wenn die anderen den Braten riechen, bringt ihnen das ja nichts, denn wer will schon als unschlichtbar in die Ecke gestellt werden?
Beim Stresstest, dem Ende der Stuttgarter Schlichtung um die Zukunft von Stadt und Bahnhof war das Ergebnis ein Kompromiss, der natürlich sofort von den S21lern abgelehnt wurde, die Schlichtung wurde enttarnt, der Frieden nicht wieder hergestellt. Der Stellungskrieg geht weiter. Die Künstlergruppe Begleitbüro SOUP (Stuttgarter Observatorium für urbane Phänomene) hat das Thema aufgegriffen und in einer Installation ausgedrückt. In mitten des Orts des Geschehens, dem Schlichtungssaal, haben sie einen Denkmalentwurf platziert. Ein Sandsackpyramide, auf der das Streitobjekt wie eine Burg tront: der Stuttgarter Bahnhof. „Ergebt Eucht“ steht auf der Fahne, kein Kompromiss wird akzeptiert, nur Kapitulation.
[vimeo http://vimeo.com/28245358]
Am Montag den 29. August kann man die Installation zwischen 11 und 12 Uhr im vierten Stock des Stuttgarter Rathauses besichtigen.
Ich sehe in der Schlichtung eines von vielen Beispielen von Scheindemokratie, die dem Bürger offene und demokratische Prozesse vorgaukeln sollen, getreu dem Motto: Redet mit, und wenn's uns in den Kram passt, dann hören wir vielleicht sogar zu. Demokratische Feigenblätter gibt es zuhauf. Im Herbst sollen Bürger des ganzen Landes von Lörrach bis Schwäbisch Hall darüber entscheiden, ob Stuttgart einen neuen Bahnhof braucht. Und wenn zu wenige ihren Sonntag im Wahllokal verbringen wollen, gewinnt automatisch der neue Bahnhof. Aber man hat ja gefragt, alles ganz demokratisch. Bürgerbeteiligung ist erwünscht, wenn sie im klar abgesteckten Rahmen stattfindet. Und immer schön unverbindlich bleiben, damit man unerwünschte Ergebnisse unter den Teppich kehren kann.
Eine Frage drängt sich mir auf: Ist es richtig, an scheindemokratischen Prozessen teilzunehmen oder sollte man sie boykottieren? Ganz konkret: Soll man die Volksabstimmung verweigern und riskieren, dass das eigene Anliegen am Ende knapp unterliegt? Wie seht ihr das?
Alles was ich machen kann, ist wachbleiben und vor der einlullenden Wirkung unserer Scheindemokratie zu warnen, denn es ist bequem, sich dieser Lebenslüge hinzugeben. Viel zu viele nutzen sie als Alibi dafür, ihre kritische Haltung preiszugeben und vor der Macht eines veralteten Systems zu kapitulieren. Unsere lokale Presse hat alle Ansätze, die Geschehnisse kritisch zu betrachten in den Wind geschossen und stellt jene, die sich nicht das Hirn haben zukleistern lassen als schlechte Verlierer hin. Es ist bekannt, dass die Bahn durch Lug und Trug ihr Projekt durchgeboxt hat, aber kaum einer will sich mehr damit beschäftigen, weil dieser Betrug scheindemokratisch legitimiert wurde. Und man will ja nicht auf der Verliererseite stehen.
Bitte, liebe Bürger, bleibt wach! Lasst euch nicht einlullen. Es geht um eueren Lebensraum, um eure Stadt und euer Geld. Ihr müsst euch nicht gleich an Bagger anketten, aber bleibt zumindest kritisch, denn Demokratie lebt von mündigen und wachen Bürgern.
Film, Fotografie oben: Josh von Staudach, Fotografie unten: Andreas Mayer-Brennenstuhl.
Sie haben etwas vergessen zu erwähnen: der Bahnhof gewinnt auch, wenn mehr Baden-Württemberger für ihn stimmen als dagegen. Und danach sieht es zurzeit stark aus.
AntwortenLöschenDann sowieso. Das klärt aber immer noch nicht, wer das alles bezahlen soll. Ich frage mich, wie das Ergebnis in Stuttgart selbst sein wird, den was geht einen Lörracher unser Bahnhof an? Und wer von den befragten würde noch dafür stimmen, wenn er sich an den Mehrkosten direkt beteiligen müsste? Die Bahn hat getrickst, belogen und und betrogen. Das lässt sich nicht durch eine Volksabstimmung legitimieren.
AntwortenLöschenÜbrigens:
AntwortenLöschenKompromiss-UN-willig sind beide Seiten.
Dass die Bahn tricksen, lügen und betrügen konnte, lag an der Landesregierung, die IHR ALLE seit 1953 immer wieder gewählt habt.
Selbstverständlich ist Korruption nicht duld- oder entschuldbar, aber kann man sie einer Partei, die so lange Zeit immer wieder zu regieren beauftragt wird, egal, wie Amigo-haft ihre Aktionen sind, wirklich vorwerfen? Derart sicher im Sattel hätten sich auch viele von Euch korrumpieren lassen - eine unangenehme Wahrheit, über die ich nachzudenken bitte.
Scharf geschossen hat bei dieser "Schlichtung" eigentlich nur Boris Palmer. Nur dumm, dass Blauhelm Heiner ihn ständig unterbrechen mußte, sonst hätte er am Ende sein Kompromißmodell in die Tonne treten können.
AntwortenLöschenNatürlich gehen wir zur Volksabstimung, natürlich werden wir Reklame bei Tanten & Anverwandten für den Kopfbahnhof machen, natürlich werden wir die VE verlieren (formal) und doch gewinnen (moralisch und von der Masse der Stimmen). Natürlich geht der Kampf auf allen Ebenen weiter: auf der Straße, bald vor dem Südflügel und im Park, an der Kostenfront, an der Nachnutzungsfront für das Gleisfeld, bei den fehlenden Planfeststellungen. Und das wie immer: fröhlich und friedlich. WIR brauchen keinen Schützengraben.