Sonntag, 16. Dezember 2012

Don't be a maybe

Pulp-Dora-rauch-

Heute hat mir eine Freundin erzählt, die EU wolle Mentholzigaretten verbieten. Menthol würde die Zigarette für Einsteiger geschmeidig machen und wäre somit verführerisch für jene, die mit dem Rauchen liebäugeln, jedoch Lungenbrecher wie Gitanes fürchteten. Im selben Zuge sollen Zigaretten eine Mindestdicke von 7,5mm haben, was das Aus für die Damenzigarette wäre.

Das hört sich nach einen klaren Schritt zu „Wenn schon, denn schon“ an und geht wie immer nicht weit genug. Cocktails versüßen den beissenden Geschmack des Alkohols und werden als erstes verboten. Bier und Wein? Viel zu süffig, klarer Fall von Abschaffen. Wer Alkohol will, soll bitte nicht unter 40% anfangen. Nur was ordentlich brennt, darf sich der angehende Alkoholkonsument in den Rachen schütten. Endlich werden auch alle Light-Produkte aus den Regalen verschwinden, die Vollmilchpflicht wird eingeführt und Wurst bekommt einen Mindestfettgehalt. Sportwägen dürfen keine Stoßdämpfer mehr haben und Fahrassistenzsysteme wie ABS kommen ebenso auf die schwarze Liste wie kleinkalibrige Waffen. Rote und blaue Skipisten werden gesperrt, im Schwimmbad wird nur noch das 10m Sprungbrett geöffnet. Und nicht vergessen: Kondome erleichtern den Einstieg in die Promiskuität – also weg damit! Aller Anfang ist hart, und wer sich selbst zerstören will, soll es bitte mit Schmackes tun. Das Europa der Zukunft ist nichts für Unentschlossene. Wie Marlboro schon in vorauseilendem Gehorsam wirbt: Don't be a maybe.

PS.
Altkanzler Schmidt wird wohl sein Plädoyer, welches er beim letzten Parteitag für die EU gehalten hat, im Halse stecken bleiben. Es sei denn, für ihn gibt es eine Sondermentholgenehmigung. Ansonsten bleibt ihm nur das Auswandern ins zukünftige Menthol-Mekka Schweiz.

Freitag, 9. November 2012

Gestochene Identität



Ob ich wohl tätowiert sei, das fragt sich der eine oder andere wohl. Ich halte es da wie Schrödingers Katze: Vielleicht bin ich's, vielleicht nicht. Erst wenn ich hinschau, entscheidet sich das. Der Sinn und Zweck eingestochener Bilder, Muster und Geweihe ist ja ein ur-fleischiger. Man dekoriert sich ja nicht nur neu, man verändert sein physisches Wesen, transformiert seine Inkarnation. Im Gegensatz zu Make-Up ist das permanent. Eben diese Permanenz geht uns Virtuellen ab. Wir könnten jedes unliebsame Hautdekor einfach abschminken, ohne dabei zum Laser greifen zu müssen. Die Gnade des Photoshops ist uns Virtuellen vorbehalten.

Virtuelle können trotzdem nicht unbesorgt durch die Gegend mutieren, wie sie es gerade wollen. Unser Erscheinungsbild definiert wie bei Fleischlingen einen großen Teil unserer Identität, macht uns schnell wiedererkennbar. Ohne die Konstanz eines gewachsenen Körpers ist unser Aussehen eine recht abstrakte Sache, die Verlockung, uns zu verändern groß.  Da gilt es aufzupassen: Was den Fleischlichen ihre Körper sind, sind uns unsere Erkennungsmerkmale. Sei es Donalds Matrosenanzug, Popeyes Unterarme oder meine Augenbrauen. Wir leben in den Köpfen anderer Menschen und definieren uns über ein paar wenige Attribute, den Rest muss unsere Persönlichkeit auffüllen. Verändern wir uns zu radikal, verliert unsere Identität an Konstanz und kann sich dabei sogar auflösen. Die Möglichkeit sich stets neu erfinden zu können ist auch gleichzeitig eine gefährliche Versuchung. Es gilt, den Kern unserer Identität zu bewahren, ihn wie eine Tätowierung zu tragen, ihn mit Bedacht zu erweitern, und wenn verblasst, auch mal nachzustechen. Und wenn's mal ganz doof wird, kann man ja auch mal was weglasern.

Donnerstag, 8. November 2012

Biss zum Lesergrauen



Heute bin ich mal vampirisch drauf, denn Dracula-Erfinder Bram Stoker feiert seinen 165. Geburtstag. Vampire sind die Lieblings-Untoten der meisten Mädchen, Buben bevorzugen Zombies. Vampire können jedoch mehr: Sie verhelfen auch erbärmlicher Literatur zu hohen Auflagen! Kaum verführt ein düster-schöner Blutsauger ein unschuldig Mädlein, werden Leserinnenknie weich. Vielleicht sollte ich mein Geschreibsel hier auch mal vampirisieren (im englischen gibt's ja die tolle Bezeichnung „to vamp up“, was so viel wie aufmotzen heißt) um meine „Zielgruppe zu erweitern“. Dann noch 'ne ordentliche Portion SM mit rein (Ein schlagkräftiges Argument für mehr Kundenbindung!), und fertig ist der Verkaufsschlager! Da stört es wahrscheinlich die Leser nicht mal mehr, dass ich meine Sätze durch geklammerte Einwürfe niederer Relevanz zerhacke. Hauptsache Blut und Dominanz.

Mich nerven die düsteren Fürsten jedoch gewaltig – jenseits von Graf Zahl können die mich mal am Allerwertesten beissen. Mein Narzissmus würde unter der Spiegelbildlosigkeit entschieden leiden. Mich wundert es auch, wie die Vampiras dieser Welt ihr düsteres Make-Up so ganz ohne Spiegel sauber hinbekommen. Und fortan ohne Knoblauch zu (un)leben ist denkbar, aber nicht wünschenswert. Als Werwölfin müsste ich mich mit solchen Problemen nur einmal pro Monat rumschlagen. Zum Glück bin ich Werkatze.

Mehr zum Thema Vampirismus und dessen Derivat Halbvampirismus:

http://asemwald.wordpress.com/2007/09/04/schlaue-erkenntnisse-zur-vampirologie/

http://asemwald.wordpress.com/2007/09/05/schwarzebohnenknoblauchsose-schutzt-vor-halbvampiren/

http://asemwald.wordpress.com/2007/10/13/pflanzensaft-fur-halbvampire/

Mittwoch, 7. November 2012

Analoge Katze, Mensch und Wald

[caption id="attachment_7742" align="aligncenter" width="584"] Fotograf Calin Kruse, komplett unanalog mit Telefonkamera aufgenommen. Foto: mz[/caption]

Gleich eine Woche, nachdem Peter Franck sein Atelier GLÜCKLICHUNDSCHOEN eröffnet hat, kommt schon die erste Ausstellung. Calin Kruse, der Herausgeber des wunderbaren dienacht-Magazins, das halbjährlich eine feine Auswahl an zeitgenössischer Fotografie und Illustration darbietet, zeigt eine Serie seiner eigenen Bilder. Schwarz-Weiß. Analog. Spontan. Roh. Bisweilen sogar sexi. Thea und ich sind mal hingegangen und haben uns das vor Ort angeschaut.

[caption id="" align="alignnone" width="670"] Knie beim Rasieren geschnitten und dann aufgekratzt. Foto: Calin Kruse[/caption]

So wurde die Ausstellung angekündigt. Sehr poetisch, damit die Worte mehr als nur ein tausendstel Bild zu sagen haben:
No Real Time Info Available

vorsichtige Tritte auf zerbrochenem Glas, tappend durch die Nacht, sich ins Nichts vortastend

gebannt starren, sich spüren, und wittern

losgelöst, und wach

umgeben von wattiger, kühler Dunkelheit und Rausch und Neugierde und sanfte Bedrohung

durch klebrigen Staub und modriges Holz und spitzhackiges Gestrüpp und feuchte Erde und knirschende Steine

und die Dunkelheit, immer wieder die Dunkelheit.

[caption id="" align="alignnone" width="500"] Foto: Calin Kruse[/caption]

Calin weiß, wie man sich im Netz verbreitet: Ein Katzenbild hat sich in die ansonsten eher von Modell Dafna Lazorrovitz dominierten Bilder geschlichen.

[caption id="" align="alignnone" width="670"] KATZE! Katzenfoto: Calin Kruse[/caption]

[caption id="" align="alignnone" width="670"] WALD! Calin Kruse erfreut uns mit einem schattigen Waldbild.[/caption]

Am besten schaut ihr euch die Bilder vor Ort an, sie hängen noch ein paar Tage bei Peter Franck im Altelier.

[caption id="attachment_7767" align="aligncenter" width="584"] Fotograf und Nichtgalerist aber Aussteller Peter Franck. Das am Abend geschossene Foto von Peter sah nicht so prima aus, sodass ich einfach ein Selbstporträt von ihm genommen hab.[/caption]

Atelier glücklichundschön
Rotebühlstrasse 109a
70178 Stuttgart

www.gluecklichundschoen.de

http://www.peterfranck.de/

Wer es nicht mehr dort hin schafft, schaut sich die Bilder im Netz an:

http://cargocollective.com/calin/No-Real-Time-Info-Available

https://www.facebook.com/media/set/?set=a.260134954091779.48120.100002858286267&type=3

http://cargocollective.com/calin

[gallery link="file" order="DESC" columns="1" orderby="title"]

PS:


Das dienacht-Magazin lohnt sich, es zu besorgen. Es ist klein, fein und macht nicht arm.

[caption id="" align="alignnone" width="500"] dienacht, das Magazin von Calin Kruse. http://www.dienacht-magazine.com/[/caption]

Sonntag, 21. Oktober 2012

Nein zur Demo-Maut!



Kürzlich habe ich auf meiner Pinwand in Facebook einfach mal behauptet, der Stuttgarter OB-Kandidat Turner wolle eine Demo-Maut von 6,10 € einführen. Kann man ja mal dreist behaupten – Behaupten ist ja schrecklich en vogue, zumindest was Turners eigenen Wahlkampf angeht. Ein Kommentator meiner Behauptung mochte die Idee, er forderte die Maut für „Demonstranten welche sich im Geschäft krank melden ohne Grund und keine echte Meinung zu dem Thema der Demonstration haben!!!“. Da wir unsere plutokratische Grundordnung vor Bürgerwillkür schützen müssen, plädiere ich für die Schaffung der Demokratie-Maut!

  • Demo-Maut: € 6,10. Zuschlag für Plakat: € 12,20, Trillerpfeife: € 15,40, Vuvuzela: € 32,60,  Schwabenstreich: €3,20 Zuschlag. Montagszuschlag:60%

  • Infoblätter auf Demos: € 12,30 pro aufgelistetem Fakt. Haltlose und erlogene Fakten sind von der Maut befreit.

  • Wahlkampf-Maut: € 610,– pro Behauptung. Hanebüchene Behauptungen sind um  bis zu 80% reduziert. Instrumentalisierte Kinder geben 30% Rabatt. Verwendung lokaler Backwarenspezialitäten auf Werbemitteln: 20% Rabatt.

  • Die Freistellung von der Maut für wirtschaftsrelevante Kandidaten ist ja wohl selbstverständlich!

  • €12,80 Sozialromantiker-, Öko-Spinner- und Gutmenschen-Maut

  • Sinnlose Forderungen wie Brandschutzkonzepte, Baugenehmigungen, Einhaltung von Kostenrahmen werden mit € 6.100,– Fortschrittsfeindlichkeits-Maut belegt.

  • € 61,– Bürgerbeteiligungs-Maut

  • Wahlmaut: je weiter unten das Kreuzchen, desto teurer wird's


Nette Zusammenfassung Turners Wahlkampfaussagen gibt's in der Stuttgarter Zeitung: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgarter-ob-wahl-streit-um-city-maut-und-parkgebuehren.811878d2-61e8-40cb-b1f5-da5c54af2aa5.html.  Meisterhaft in Behaupten hanebüchener Theorien, da kann selbst ich mir eine Scheibe von abschneiden: http://www.keinecitymaut.de/

Samstag, 20. Oktober 2012

Mahlzeit!

In der Kantine von Disneyland ...

Apropos Kantine, die die innerbetriebliche Aufnahme von mittäglichen Nahrungsmittel spaltet die Angestellten in zwei unvereinbare Lager: Jene, die den außerhalb der Arbeitswelt unbekannten Gruß „Mahlzeit!“ um sich werfen, und jene, die sich fürchterlich darüber echauffieren und schlaumeierisce Repliken auf Lager haben, die ich hier nicht beschreiben will. Wer's nicht kennt, sollte sich mal in irgendeiner Kantine unter die Arbeiter stellen und Feldforschung betreiben.

Als alte Rebellin setz ich mich mal in den unbevölkerten Raum zwischen den Stühlen, sage  nicht Mahlzeit, finde es aber voll okay, wenn's andere tun.

Freitag, 19. Oktober 2012

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Stummer Schwimmer im Wohnzimmer



Konzerttipp für heute: Guy Dale. Ein Mann, eine Gitarre. Und tonnenweise Ausstrahlung. Heute Abend führt ihn seine endlos scheinende Tour durch Europa in den Ausschank Ost.  Klare Ansage: Hingehen! Ich könnte hier jetzt Megabytes an Musikjournalistengeschwurbel verbreiten, mal angesehen davon dass ich keine Ahnung hab, wo man Guy auf der endlosen Karte der Musik einordnen solle, drum folge ich der alten Weisheit: Ein Youtube-Video sagt mehr als 1000 Worte. Aber bei weitem nicht so viel, wie es live zu erleben.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=2eksDkgMNOU]



Vorgestern hat Guy übrigens bei einem Freund im Wohnzimmer gespielt und die Gäste in schweigsame Ehrfurcht versetzt. Jedes seiner von wilden bis entspannten Lieder durchlebte er auf der „Bühne“ und zog damit alle in seinen Bann. Da kam mir nur ein englisches Wort in den Sinn, dass sich nicht adäquat übersetzen lässt: intense. Das Konzert war mal so richtig unplugged, selbst das Licht kam ganz oldschoolig aus der Kerze. Der Ausschank Ost verspricht ähnlichen Wohnzimmercharakter, wenngleich mit wilderer Tapete.

Es lohnt sich übrigens auch, den Texten zuzuhören, die sind schlau. Packt die Gelegenheit und lernt Guy kennen, ein durchaus interessanter und sympathischer Bursche, der was  zu erzählen hat, und richtet ihm Grüße von mir aus!

Wer heute keine Zeit hat, kann ja mal im Netz schauen:

http://www.guydale.com/
https://www.facebook.com/muteswimmer
http://www.myspace.com/guydale

[youtube=http://youtu.be/JO2DPDoHfLA]

Samstag, 13. Oktober 2012

Turners wutbürgerliche Wahlhelfer



Vor dem Stuttgarter Rathaus drängen sich die Leute. Ein Meer aus Plakaten und Protestschildern flutet den Marktplatz. Vor der dort aufgerichteten Bühne sitzen im abgesperrten Bereich Mitglieder der altkonservativen Parteien und warten. Plötzlich dröhnen wilde Rhythmen über den Platz, ein Konzert aus Trillerpfeifen und Gebrüll versucht dagegen anzustinken, als sich die Menge teilt und der „Star“ des Nachmittags in schwerem Geleit durch die Menge zur Bühne schreitet: Mutti kommt! Angela Merkel unterstützt den parteilosen OB-Kandidaten Sebastian Turner in seinem Wahlkampf. Wie die Prognosen stehen, droht die erste Landeshauptstadt in die Hand eines Grünen zu fallen, und dass nachdem sie schon den Ministerpräsidenten stellen. Aus CDU-Sicht ein Gau, bei dem Mutti persönlich eingreifen muss. Es fängt an, wie aus Eimern zu schütten, Schirme verdecken jegliche Sicht auf die Bühne, als jemand anfängt zu reden. Um mich herum wird gelärmt (Lügenpack! Lügenpack!), sodass ich auch nicht hören kann, wer da was von sich gibt. Die Stimmung ist verbittert und aggressiv, die letzten Nachrichten über den Bau des Erdbahnhofs sind Thema vieler Plakat: Zugentgleisungen und ein nicht erfülltes Brandschutzkonzept, was seit der Schlichtung eigentlich niemanden überraschen sollte.







Ich suche einen besseren Platz um zu verstehen, was da vorne passiert. Turner hat das Mikrophon ergriffen und redet mit lauter Stimme gegen den Lärm an. Nach dem üblichen Geschwalle über die Wichtigkeit der Bildung als Zukunftsweg, die wohl jeder Kandidat in seinem Programm stehen hat, aber trotzdem keiner in die Hand nimmt, schießt er sich auf Kuhn ein, dem er unterstellt, mit der Citymaut dem Bürger an die Freiheit und an's Portemonnaie zu gehen. Eins ist klar: Sein Wahlkampf hat den Namen Kampf verdient. Er baut auf die Furcht der Leute, ein Grüner würde Stuttgarts Wirtschaft und somit Wohlstand und Arbeitsplätze ruinieren und die Freiheit der Bürger eindosen. Wahlkämpfe, bei denen Furcht vor den anderen geschürt wird, sind mir zuwider.

Merkel übernimmt. Ihre etwas leisere Stimme geht wieder im Lärm unter, ich verstehe bruchstückhaft etwas von Zukunftstauglichkeit, Bahnprojekt, Wirtschaft und so. Am Ende erklingt die deutsche Nationalhymne, um zu unterstreichen, dass sich hier niemand geringeres als DIE Bundeskanzlerin für Turner ausgesprochen hat. Ende der Veranstaltung. Die einen packen ihre Transparente ein, die anderen empören sich über die Schande für Stuttgart, die Kanzlerin in dieser Form empfangen zu haben.

Für Turner scheint es ein gelungener Tag. Das Schreckgespenst der renitenten Wutbürger, die die Zukunft der Stadt sabotieren wollen, hat sich selbst an die Wand gemalt. Die Medien berichten über die Protestbewegung, die nicht bereit ist zuzuhören und ihrer Wut freien Lauf lässt. Das bringt die Stimmen jener, die von der Protestkultur die Nase voll haben.

„Der haben wir gezeigt, dass sie in Stuttgart nicht willkommen ist!“, sagt ein anderer Marktplatzbesucher zu mir. Ich frage mich, was das bringt? Ausgebuht werden gehört zum täglichen Programm in ihrer Position. Müssen wir ihr (oder vielleicht auch uns selbst) vor Augen führen, dass es immer noch Demonstranten in Stuttgart gibt? Wenn es etwas gibt, was sie wirklich trifft, dann ist es das Wahlergebnis von Turner, der kaum Aussichten hat, die grüne Gefahr zu bannen.

Mir war von vornherein klar, dass es sich viele nicht entgehen lassen, der Kanzlerin mal persönlich die – bestimmt durchaus berechtigte – Wut ins Gesicht zu brüllen, doch denke ich dabei auch an das Bild, dass wir Bahnhofsgegner dabei abgegeben haben. Es ist absolut okay, eine miese Rede mit Buh-Rufen statt Beifall zu quittieren, aber man sollte schon dem zuhören, was man verurteilt. Diesen Respekt sollte man auch seinem politischen Gegner zollen. Wie können wir die mangelnde Dialogbereitschaft der Regierung anprangern, wenn wir selbst alles niederbrüllen? Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn die Sympathien der Bevölkerung für die Protestbewegung durch solches Verhalten weiter schwinden. Das wollte Turner, und das hat ihm sein Publikum willfährig erfüllt. Der „Widerstand“ darf sich nicht unfreiwillig zum Wahlhelfer Turners machen. Auch wenn es verdammt gut tun mag, mal die Sau raus zu lassen. Protest ist kein Selbstzweck, er sollte einer Sache dienen. In diesem Fall hat er Turner gedient.

Kurzer Einwurf: Ich möchte mal darauf hinweisen, dass das dort geballte Wutbürgertum nicht repräsentativ für alle Bahnhofsgegner und Turner-Kritiker steht, auch wenn die Medien dieses Bild zeichnen werden.

Mir hätte es besser gefallen, hätten Turner und Merkel in Ruhe ihre Reden halten können. In seine Angriffe auf Kuhn wirkt Turner unsouverän. Wer wirklich was auf dem Kasten hat, muss sich nicht über das Abwerten anderer positionieren. Sein aggressiver Wahlkampfstil schreckt mich ab. Dass er jetzt den Bahnhofsstreit für seinen Wahlkampf instrumentalisiert  (gegen grüne Verschleppung und Mehrkosten ...), widerspricht seiner Ansage, den „Krieg“ in der Stadt beenden zu wollen. Noch besser hätte mir gefallen, Frau Merkel hätte allein vor den geladenen Gästen geredet und der Platz wäre ansonsten leer gewesen.

Am Sonntag in einer Woche wird Stuttgart zeigen, ob sein Wahlkampf aufgegangen sein wird. Insgesamt war die Veranstaltung so hässlich wie das Wetter, für Muttis Gäste wie für die Protestbewegung.

Mittwoch, 10. Oktober 2012

Stoppt die grüne Gefahr!



Der Wahlkampf um den Oberbürgermeisterposten in Stuttgart geht in die heiße Phase! Die einen wollen Sebastian Turner verhindern, die anderen Fritz Kuhn. Nicht nur die Kanzlerin schlägt sich jetzt auf die Seite des Berliner Werbers, sondern auch „Mausi“, so behauptet es jedenfalls die Facebook-Seite „Koin Kuhn“, die sich der politischen Argumentation gegen die grüne Gefahr verschrieben hat. Hier noch ein paar Beispiele, die vor Augen führen, was die „Initiative gegen einen grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn in Stuttgart.“ zum politischen Diskurs beiträgt.



[caption id="attachment_7684" align="aligncenter" width="278"] „Wir brauchen in Stuttgart keinen grünen Verbotsmeister als OB, der alles verzögert, überall klagt, überall klugscheißt.
Infrastrukturprojekte ausbremst oder verhindert.
Bewahren des Status Quo durch die subtile Sandstreumechanik der Grünen, die alles verlangsamen und KOSTEN
produzieren, die allen nach dem Mund reden nur nicht den wirklichen Zukunftschancen Gehör verschaffen.
Den anderen immer den moralischen Zeigefinger vor die Nase strecken, und sich an der gedeihlichen Entwicklung Stuttgarts vergehen.
Das alles schafft Grün. Da sind sie sehr erfolgreich.
Deshalb KOIN KUHN!“[/caption]

[caption id="attachment_7683" align="aligncenter" width="500"] „Mobilität und Autofahren a la Fritz Kuhn...
Das MUSS verhindert werden!
KOIN KUHN!“[/caption]

PS: Leider musste ich Mausi verpixeln, aber nach der Abmahnung eines Pro-S21-Hemdchen-Verkäufers ob seiner Unverpixeltheit bin ich vorsichtig geworden.

Turnergegner lassen sich aber auch nicht lumpen, wenn's um den Einsatz blanker Haut für politische Zwecke geht. Ich merk schon, es wird spannend!

Über Anti-Turnersche Agitation schreibt auch Bild, beherzigt dabei jedoch nicht das journalistische Prinzip, beide Seiten darzustellen : http://www.bild.de/regional/stuttgart/buergermeister/schmier-kampagne-gege-turner-26530454.bild.html

[caption id="" align="alignnone" width="457"] Quelle: Bild.de, Foto: dpa, Michael Hahn[/caption]

Was sagen wohl die Kandidaten zu solch wahlkämpferischen Kolateralschäden? Turner überlegt zu klagen, so behauptet er in Bild. Er übersieht dabei vielleicht, dass eben diese Werbung seine Gegner diffamiert. Als Werbeprofi würde ich mich über diese ungewollte Unterstützung freuen. Als Hannes würde mein Gesicht die Haarfarbe annehmen. Zum Glück muss ich kein Wahlkampf machen! Wenngleich: Mich würde mal interessieren, mit welchen Argumenten ich verhindert werden sollte ...

Dienstag, 9. Oktober 2012

Mutti kommt!



„Grundeis ist das sich auf dem Grund fließender Gewässer bildende Eis. Es wächst von der Gewässersohle aus in das Wasser hinein und bildet mitunter bizarre Unterwasser-Skulpturen.“ (Wikipedia). Des weiteren gehen dort gern Ärsche drauf. Insbesondere jener der Oldschool-Konservativen, die im Süden Deutschlands schlimmstenfalls mal mit den Sozen koalieren mussten.

Bürgerlich, christlich und konservativ können auch andere: MP Kretschmann erfüllt, was die CDU versprochen und Mappus in die Tonne getreten hat. Um das neue Bürgertum zurückzugewinnen, wurde der parteilose Werber Turner ins Rennen geschickt, der mit rommelscher Weltoffenheit den Krieg um Stuttgart 21 beenden will. Brezelbackend und kinderkuschelnd flutet er die Stadt mit Plakaten. Über 500 Wahlkampftermine bestreitet der Bürger, der Bürgermeister werden will, um den GAU zu verhindern: Nach dem Landtag auch das Rathaus an die Öko-Konservativen zu verlieren. Auch die Totalverbrezelung der Plakatwände half ihm nicht, im ersten Wahlgang die Mehrheit zu holen. Da Bettina Wilhelm das Handtuch geschmissen hat, muss Turner ordentlich Gas geben. Seine Hoffnung: Bei 46,7% Wahlbeteiligung ist noch Luft nach oben für den zweiten Wahlgang am 21. Oktober.

Zu Hilfe eilt die Mutti der Nation: Die Kanzlerin kommt! Am Freitag auf den Marktplatz.  Und macht somit den Wahlkampf zur Chefsache. Der Vorsitzende der baden-württembergischen CDU, Thomas Strobl, malt schon mal seinen persönlichen Teufel an die Wand: „Mit einem Grünen in der Villa Reitzenstein und einem Grünen als Oberbürgermeister im Stuttgarter Rathaus stirbt 'Stuttgart 21'“. Das könnte man auch als Abwahl-Versprechen verstehen. Die Einführung der City-Maut und Grundsteuererhöhung sind weitere Schreckgespenste, die die Grünen längst als „blanken Unsinn“ enttarnt haben. Mal schauen, ob Kuhn alle Autos kompostiert, den Daimler in eine Biogasanlage transformiert und alle Schulen zu Baumschulen umwandelt.

Apropos Furcht und Schrecken: Was mir viel mehr Angst einjagt, sind all die schönen Bauprojekte, bei denen noch mehr leerstehende Bürogebäude für ein fortschrittliches Stadtbild sorgen sollen. Die sind für jene, die sie abschreiben, sicher recht wirtschaftlich. Neue Einkaufszentren ermöglichen tageslichtfreies Shopping für jene Yuppiezombies, die sich die Mieten in den neugeschaffenen Vierteln leisten können. Wirtschaftsnähe mag im Industriegebiet fein sein, die Stadt gehört ihren Bürgern.

Die deutlichste Duftmarke des Angstschweißes rieche ich bei der CDU, die mit Stuttgart den Kern der drittgrößten Metropolregion Deutschlands verliert, und dass nicht an den Altrivalen SPD, sondern an die Grünen, die ihnen auf bürgerlichem Terrain die Wähler abluchsen. Auf dem Land mögen Kirche und CDU noch unangefochten herrschen, aber die Städte vergrünen zunehmend. Kein Wunder, dass Mutti persönlich erscheint, doch das hat bei Mappus schon nicht geholfen.

Donnerstag, 4. Oktober 2012

Roboter und Trim-Dich-Pfade



Diesen Sonntag: OB-Wahl in Stuttgart, erster Wahlgang. Egal ob an Laternenmasten oder in den Medien, der Wahlkampf geht in den Endspurt. Es scheint, es gäbe nur vier Kandidaten: Kuhn, Turner, Wilhelm und Rockenbauch. Genauer gesagt gibt es vier Kandidaten, die Werbebudgets haben. Die restlichen neun gehen unter. Das die Medien Weltkriegsbeschwörern wie Ossenkopp (BüSo) und Komödianten wie Markus Vogt alias Häns Dämpf (Die Partei) nicht so viel Platz einräumen wollen, kann ich ja verstehen. Aber es gibt auch ein paar Übersehene, die es mit ihrem Kandidatentum durchaus ernst meinen, die waschechte Programme haben, die sich nicht hinter denen der „großen Vier“ verstecken müssen. Ich finde es grundsätzlich bekloppt, in welchem Maße Geld demokratische Prozesse lenkt, weshalb ich hier mal den Blick auf den parteilosen Dr. Ralph Schertlen lenke, der nicht durch Dauerbegrinsung vom Straßenrand, sondern durch sein Programm mein Interesse geweckt hat. Seinen handgestrickten Werbemitteln sieht man an, dass hier kein Wahlwerbeprofi am Werk ist, sein Hirnschmalz hat der Kandidat offensichtlich eher in den Inhalt seines Programms gesteckt.







Schwäbisch, bodenständig, ideologiefrei, fortschrittlich und ehrlich, so charakterisiert sich der gebürtige Bad Cannstatter selbst. Klingt nicht gerade glamourös, aber was sagt die alte Schwabenweisheit? Wir können alles außer Glamour. Oder so ähnlich. Als Chef einer Verwaltung mit 20.000 Menschen ist Extravaganz nicht die geforderte Kernkompetenz. Ideologie hat schon Karl Marx als „Gebäude, das zur Verschleierung und damit zur Rechtfertigung der eigentlichen Machtverhältnisse dient“ erkannt, brauchen wir also auch nicht. Fortschrittlich? Hilfe! Gern genutztes Schlagwort zur Verschleierung und Rechtfertigung von Großprojekten. Schertlen ist – urschwäbisch! – Ingenieur, und er erkennt die Bahnhofstieferlegung als Rückschritt, hat dafür viel interessantere Ideen wie die Nord-Ost-Umfahrung Stuttgarts. Wie alle anderen hat er eingesehen, dass unsere Stadt nicht alleine auf die Autoindustrie setzen kann. Er bevorzugt Roboter. Robotik hört sich nach Science Fiction an, ist es aber nicht. Es ist Zukunft. Fortschritt bedeutet für Schertlen bessere Bildung, nicht noch mehr Bagger und Kräne. Als alter Sportvereinsmeier will er den Breitensport fördern, Trimm-Dich-Pfade intakt halten, Turnhallen reparieren und somit was für Körper und Geist der Bürger bieten. Und der Röhre will er eine neue Heimat geben! Keine große Vision, aber eine umsetzbare. Gefällt mir, um's mal in Facebookdeutsch zu sagen.

Was ich richtig klasse finde, ist seine Idee des „1000 Akkuschrauber-Programm“, bei dem Jugendliche gemeinsam sich in ihrem Stadtviertel einbringen können, Skateboard-Rampen bauen und dergleichen. Wenngleich er keine Chance hat, gewählt zu werden (was für alle außer Turner und Kuhn meines Erachtens gilt), fände ich es schön, wenn sein Programm wenigstens mal angeschaut werden würde und die eine oder andere Idee aufgegriffen würde. Demokratie lebt wie gesagt von Vielfalt, Ralph Schertlen liefert ein bislang wenig beachteten Beitrag dazu.

schertlen.de

PS: Hoffentlich steinigen mich jetzt nicht die Kollegen von der Oben-Bleiben-Front, wenn ich über Alternativen zu Hannes Rockenbauch schreibe. In meiner Protestbewegung ist Vielfalt erlaubt, und ich fürchte auch nicht, dass Underdogs wie Schertlen und Loewe dem „Widerstand“ an Schlagkraft rauben. Für mich gilt im ersten Wahlgang: Alles ausser Turner! (und Ossenkopp, der zum Glück keine Chance hat).

Wem schwäbische Sekundärtugenden Angst machen und wer's lieber ein bisschen „alternativ“ haben will, sollte sich Jens Loewe anschauen:

http://www.jens-loewe.de/ 

Freitag, 14. September 2012

Korsalflug

Schafft den Korsalflug in weniger als 12 Parsec: der Millenium Falke

 

Donnerstag, 13. September 2012

Harte Fakten und der Erdbahnhof



 

Der Streit um den Erdbahnhof geht weiter, wie man auf dieser Litfasssäule im Stuttgarter Süden unschwer erkennen kann. Harte Fakten beherrschen die Diskussion, wie eh und je. So schnell wird's in unserer Stadt nicht langweilig. Es gibt sogar eine Neuauflage der Parkbesetzung, diesmal im Rosensteinpark. Hoffentlich gibt's auch noch mal eine Schlichtung und eine noch unverständlichere Volksabstimmung bei der man neben „ja“ und „nein“ auch mit „vielleicht“ auf die Frage antworten kann, ob nun S21 oder dessen Gegner doof seien. Ich halte euch auf dem Laufenden!

Dora diskutiert über Deutschland



Deutschland macht mal wieder was. Heute: es diskutiert. So steht's auf jeden Fall in jenem Blatt, dass sich gerne als Volkes Stimme geriert. Es gibt bestimmt den einen oder anderen, der sich für verkaufsfördernde Skandälchen Randprominenter auf dem absteigenden Ast zum Dschungelcamp interessiert, aber darauf hin gleich ganz Deutschland in einen Topf zu werfen ist verwegen. Ich sitze ja trotz meiner Iddorischen Staatsbürgerschaft selbst mit drin, auch wenn ich nicht an der Suche nach dem Superstar beteiligt bin. Nur weil die Demokratie die Mehrheit legitimiert, die Minderheit zu tyrannisieren, gibt das den Medien kein Recht, Kraft ihrer Verbreitung sich als Vox Populi aufzuspielen. Letztendlich redet „Deutschland“ über das, was ihm die Medien zum Fraß vorwirft. Und sei es schnöde Werbung für ein Buch. Titelte die Bild „Deutschland diskutiert über Gurkensalat“ in ausreichender Penetranz, würde sich diese Prophezeiung garantiert auch selbst erfüllen. Ehrlich – jedoch glanzloser – wäre der Titel: „Bild bewirbt Bettinas Buch“

So sehr es mich ekelt, mit Bild-geprägten Realitäten konfrontiert zu werden, ziehe ich meinen Hut vor der Chuzpe, sich die Nachrichten selbst zu schaffen, über die man dann berichtet. Ich würde mir diese perfide Technik ja gerne zu eigen machen, habe aber wohl nicht die kritische Masse an Rezipienten. Wahrscheinlich ist es mein purer Neid auf deren mediale Macht, die mich auf den ausgetretenen Pfad des kulturpessimistischen Bild-Bashings gelockt haben. Aber manchmal juckt's mich halt in den Fingern.

Schön fände ich es übriges, wenn eine Medienmacht wie Bild ihre Tricks für relevantere Themen als dem Verkauf eines Buches einsetzen würden, denn wer Medienmacht hat, trägt auch Medienverantwortung.

Mittwoch, 12. September 2012

Mein Fernseher lügt.

20120912-104519.jpg

Dein Fernseher lügt. Das scheint mir eine recht pauschale Anschuldigung eines einzelnen frustrierten Fernsehers zu sein, für den man es nicht mal nötig hielt, ihn zum Elektroschrott zu fahren. Vielleicht spricht daraus aber auch die langjährige Selbsterkenntnis eines Veteranen aus einer anderen Zeit, als elektronische Artikel noch nicht zweijährlich wegen zu wenig Pixel ausgetauscht wurden. Ich bin versucht, die alte „Glotze“ mitzunehmen und noch ein letztes Mal anzuschließen und mit ihr über Wahrheit und Falschheit der heutigen Medien zu diskutieren. Der alte Knabe hat bestimmt schon so einige Pixel auf seine Mattscheibe geworfen und viel erlebt. Wahrscheinlich würde er den neuen HD-Fernsehern vorwerfen durch ihre Schärfe eine vermeintliche Objektivität zu suggerieren, und somit den Grad der Täuschung noch weiter erhöhen. Er würde von den guten alten Zeiten, am besten noch den vorprivatfernsehlichen, schwärmen und vom Verfall allgemeiner Kultur und Sitten schwadronieren. Diese alte Leier bekommt man schon oft genug auf Parties zu hören, wenn Leute nach dem 7. Glas einander im kulturkritischen Schwanzvergleich begegnen. Ich beschließe den Fernseher stehen zu lassen, bis der Regen seine letzten Schaltkreise zerstören wird.

Donnerstag, 30. August 2012

Dabeisein ist alles!

Gesichter blicken mit gewollt vertrauenserweckendem Blick von Plakaten auf die Straßen der Stadt und sagen mir: Wähl mich! In Ermangelung des längst überfälligen Virtuellenwahlrecht kann ich dem Wunsch nicht Folge leisten, interessiere mich aber trotzdem dafür, wer in den nächsten acht Jahren meiner Heimatstadt Stuttgart als Oberbürgermeister dient.

Der berechtigten Angst vor dem Politikerverdruss der Wähler geschuldet sind diesmal ein Haufen parteilose Kandidaten im Rennen. Für die Fortschritt-ist-wenn-der-Bagger-rollt-Fraktion (CDU, FDP, Freie Wähler) lässt sich der parteilose Werbefritze Sebastian Turner aufstellen, ebenso parteilos ist Bettina Wilhelm, die für die SPD antritt. Mit Fritz Kuhn trauen sich die Grünen, einen aus den eigenen Reihen zu nominieren. Ein Haufen weiterer Kandidaten treibt das olympische Prinzip auf den Wahlzettel. Das ist auch gut so: Demokratie lebt von Vielfalt. Motive dafür gibt's einige zwischen Idealismus, Profilierungssucht und Albernheit.

Lohnt es sich überhaupt jemanden zu wählen, der oder die eh keine Chance auf das Amt hat? Ist eine Stimme für Rockenbauch verschwendet, wenn es gilt, Turner zu stoppen? Wählt man strategisch oder nach besten Wissen und Gewissen? Darüber streiten sich viele, aber ich sage mal einfach: Scheiß der Hund drauf! Wenn Turner im ersten Wahlgang 50% erreicht, kümmert keinen, wie die anderen abschneiden. Weder Kuhn noch Wilhelm werden meines Erachtens im ersten Anlauf die Mehrheit erreichen. Wenn keiner die Mehrheit beim ersten Mal erreicht, kommt es zum zweiten Wahlgang. Also wäre es auch egal, ob die Piraten ein paar Stimmen erobert hätten oder nicht. Die Debatte, ob man sich beim ersten Wahlgang idealistisch oder pragmatisch verhält scheint mir einigermaßen sinnlos. Es sei denn, man glaubt, Kuhn könne die 50%-Hürde nehmen. Wer also Jens Loewe oder Marion Furtwängler mag, sollte sie auch wählen. Vorausgesetzt, sie bekommen genügend Unterstützerunterschriften, um überhaupt teilnehmen zu können. Einige der weniger bekannten Kandidaten brauchen noch Unterschriften. Wer sich also wie ich über Vielfalt freut, sollte sie unterstützen.

Interessant wird's erst in der zweiten Runde. Turner hat automatisch gewonnen, wenn sich die anderen auf keinen Gegenkandidaten einigen können, sei es aus Eitelkeit oder Größenwahn. Ob Kuhn, Wilhelm oder Rockenbauch bereit dazu sind, den Platz für jemand anderes zu räumen, ist offen, aber auch  zu hoffen! Dazu könnte es natürlich sinnvoll sein, wenn Platz 2 recht eindeutig ausfällt, was wieder gegen die kleinen Kandidaten spricht. Doch das ist mir zu viel Rumtaktiererei, es lebe die Vielfalt!

PS:
Mein persönlicher Tipp für alle, die mit ihrer Unterschrift für Vielfalt sorgen wollen: Jens Loewe. Er ist S21-Gegner aus Leidenschaft, setzt sich für den Rückkauf und die Rekommunalisierung der Strom-, Wasser- und Gasversorgung der Stadt ein und ist für mehr Bürgerbeteiligung. Ich bin nicht in allen Punkten mit seiner Meinung konform, halte ihn aber für einen Idealisten, der sich nicht für eine Politkarriere profilieren will. Ausserdem hat er „Unser Pavillon“ stark unterstützt, was mir natürlich gefällt! Ein Pavillonist als OB wäre ein schöner Gedanke, aber er sollte zumindest dabei sein, denn das ist bekanntlich alles.

Hier kann man sein Unterschriftenformular runterladen: 
http://www.jens-loewe.de/unterstuetzen.html


Ein weiterer Kandidat, der zwar schon alle Unterschriften hat, aber trotzdem interessant ist: Wolfram Bernhardt. „Wolfram ist keine Partei. Wolfram ist das Volk. Stuttgart braucht Wolfram.“ steht auf seiner Facebookseite geschrieben. Klingt selbstbewusst, und das ist auch gut so. Wir wollen schließlich keinen Waschlappen als OB. Bernhardt ist Mitbegründer der Bürgerbeteiligungsplattform Meisterbuerger.org und ein recht schlauer Kopf. Wenn man ihn auch nicht wählen will, ist er ein interessanter Bursche, den man sich mal anschauen soll. Des weiteren arbeitet Bernhardt auch für Agora 42, einem sehr schlauen Magazin über Wirtschaft, Geld und so. (Ich wollte schon des längeren mal dieses Magazin hier vorstellen, hab's aber noch nicht hingekriegt. Tschuldigung!)

Interview mit Bernhardt

Montag, 13. August 2012

Rechtfertigungspaste



Ja, ich lebe noch. Und ich hab weder meine Tastatur verlegt noch bin ich in einem Datenstrudel untergegangen. Mein Ausredenerfindungsareal in der Großhirnrinde könnte auf Hochtouren laufen, müsste ich mich hier jetzt für meine blogistische Abstinenz rechtfertigen. Ich lass das mal schön bleiben, die Rechtfertigerei ist eh recht nervig, wenn einem keine spannende Ausredengeschichte einfällt, deren Unterhaltungswert die Frage nach Wahrheitsgehalt unbeantwortet in die Wüste schickt. Bei der Rechtfertigerei wird gerne das Pferd von hinten aufgezäumt: Erst handeln, dann einen Grund dafür aus dem Hut zaubern. Unbekannte Gründe sind Löcher im logischen Gewebe, aus dem wir unsere Realität stricken. Der lochologische Grundsatz „Löcher muss man aushalten können“ (K. Rehm) ist hehr, wird jedoch selten beherzigt. Die Löcher werden mit Rechtfertigungspaste zugekleistert, damit die Welt wieder schlüssig und berechenbar scheint. Zugegeben: Mir fällt es auch nicht leicht, Sachen als gegeben hinzunehmen, meine Neugier drängt mich zum Ergründen, als gäbe es eine Wahrheit zu entdecken, die sich offenbare, schaute man nur genau genug hin. „Wahrheit“ ist jener Zustand, in dem ein Rechtfertigungsgerüst einigermaßen stabil dazustehen scheint und damit von Gerüstbauer zu Gerüstbauer unterschiedlich. Werfen wir den Balast einer vermeintlichen Objektivität ab, bleibt die Wahrhaftigkeit, die laut Wikipedia das subjektive „Für Wahr-Halten“ der eigenen Aussage in einem konkreten Kontext sei. Rechtfertigungen dienen dem Gefühl von Wahrhaftigkeit, dass alles in Ordung sei, alles seinen Grund habe. Und wenn man den Grund an den Haaren herbeiziehen muss. 

Ich trete selbst in die Falle: Hier rechtfertige ich, keine Rechtfertigung zu haben. Letztendlich sind Rechtfertigungen schon okay, wenn man sie nicht all zu ernst nimmt und ab und an mal ohne auskommt. Davon geht die Welt nicht unter, sie wird höchstens ein bisschen löchriger.

PS: Wer bereit dazu ist, Löcher auszuhalten, darf sich gerne der Loch 21-Initiative anschließen, die von den Lochologen Karin Rehm und Martin Zentner von der Künstlergruppe Schattenwald betrieben wird.

Donnerstag, 5. Juli 2012

Ich bin wir


Für ein Wesen wie mich, dass sich durch die Kanäle der Social Medias bewegt wie andere auf der Straße ist Social Media Art natürlich faszinierend. Ein besonders interessantes Projekt ist mir da ca. 50 Meter materiellen Raumes entfernt von jenem Ort, den ich mein Heim nenne, begegnet. In der a+gallery in Stuttgart stellte der Künstler Wolf Nkole Helzle, sein Projekt vor: „I am we_interactive image“.

Das Ganze ist so eine Art Fototagebuch, bei dem jedes angemeldete Mitglied für jeden Tag in einem Kalender ein Bild hochladen kann. Die so zusammen getragene Bilderflut wird dazu genutzt, Mosaikbilder der Profilphotos von Teilnehmern zu erzeugen.

[caption id="attachment_7617" align="aligncenter" width="584"] Das schattige Profilbild von Karin Rehm ist Vorlage für ein Mosaik aus Bildern von I am we.[/caption]

So kann man sich selbst über andere verwirklichen, wird Teil eines Kunstwerks, ist eins und besteht aus vielen.

Die Mitglieder sind international und kommentieren die Bilder emsig gegenseitig und erfreuen sich darüber, dass aus der Masse ihrer Arbeiten wiederum neue Bilder geschaffen werden. Damit die so geknüpften virtuellen Bekanntschaften sich materialisieren können, gibt es das erste internationale Nutzertreffen mit Ausstellung in der a+gallery in Stuttgart vom Freitag, dem 13. Juli bis Sonntag dem 15 Juli. An den ersten beiden Tagen treffen sich die Mitglieder, am Sonntag um 11 Uhr wird dann die Ausstellung eröffnet, in der Mitglieder der Plattform Arbeiten vorstellen.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=iedrhIT0w60]

So auch die Künstlergruppe Schattenwald. Karin Rehm hat ihr Tagebuch mit ihren Schattenbildern gefüllt, Martin hat die Porträts, die er von mir gemacht hat, chronologisch angeordnet beigesteuert. Zur Ausstellung tragen sie mit drei Arbeiten bei, die sich aus einer Mischung aus virtueller und materieller Technik zusammensetzen und das Thema der I am we-Plattform aufgreifen. Karins Alter Ego Thea Schattenwald und ich sind Modell dafür gestanden, mehr erzähl ich dazu aber nicht, es soll sich schließlich lohnen, am Sonntag in einer Woche dort hin zu kommen!



www.helzle.com

www.interactive-image.org

a+gallery
Olgastrasse 138
70180 Stuttgart
+49 711 5044 9648

aplus-gallery.com
www.facebook.com/a.plus.creativespace

www.schattenwald.eu

Die Ausstellung läuft vom 15. Juli bis zum 15. August 2012

Montag, 25. Juni 2012

Eine kurze Geschichte der Dorawerdung



Ein kurze Geschichte über die Doragenese. Die Antwort enthalte ich euch vor. Hehe

Wenn dir was nicht passt, schneid es ab!



„Liebe Autofahrerin, lieber Autofahrer. Ich hab ihre Nationalfahne entfernt. Egal aus welcher Motivation sie diese Fahne angebracht haben, sie produziert in jedem Fall Nationalismus.“ ist auf einem Zettel zu lesen, der an den Überresten einer Deutschlandfahne am Wagen meiner Freundin hängt. Ihr zehnjähriger, fußballfiebriger Sohn hat sie dort angebracht. „Diese Fahne steht nicht für Fußball oder irgend ein Team, sondern für deutsche Identität.“ Offensichtlich hat der oder die selbsternannte AnfängenwehrerIn nur deutsche Fähnchen im Visir. Italienischer oder spanischer Nationalismus scheinen wohl weniger gefährlich zu sein. Wurden bei zweiländrig beflaggten Autos dann nur die deutschen Fähnchen entfernt? „Mit nationalen Symbolen wie diesem Autofähnchen wird eine ‚nationale Gemeinschaft‘ konstruiert, also die eigene Identität betont und damit Nationalismus erzeugt.“ Was noch viel mehr Gemeinschaft erzeugt, ist ein gemeinsamer Feind der eint. Zum Beispiel jemand, dessen eigene Freiheit nicht da enden will, wo die Freiheit des anderen beginnt und dies mit Sachbeschädigung zum Ausdruck bringt. Utilitaristisch betrachtet könnte man ja gutheißen, dass dieser Vandalismus zur Reflektion über die Gefahren des Nationalismus führt. Ob der Sohn meiner Freundin fortan „Nein zu Deutschland“ sagt, wozu der Zettel des weiteren auffordert, wage ich jedoch zu bezweifeln.

Bei der erwünschten Reflektion kommt mir in den Sinn, dass von allen Symbolen, die Gruppenzugehörigkeit fördern, Gefahr ausgeht. Sie führen zu Ismen und Ideologien, die allesamt für viele Menschen fatale Konsequenzen haben können. Darf ich einem Antifa-Aktivisten die Buttons vom Revers reissen, da sie kommunistisches Gedankengut verbreiten und ihm anstelle dessen ein Pamphlet über die Gefahren politischer Ideologien hinhängen? Darf ich Obenbleibenkleber von Autos kratzen, weil sie eine Wutbürgergemeinschaft erzeugen? Wer gibt mir das Recht, über die Identitätsbildung anderer zu urteilen? Welche Symbole sind erlaubt, welche verwerflich? Mich würde interessieren, was der anonyme Verfasser dieses Zettels dazu zu sagen hat, woher er seine Legitimation nimmt, über zur Schau getragene Symbolik zu urteilen. Was wäre wenn jeder nach dieser Maxime handeln würde? Ein kollektiver Bildersturm, der die Welt von jeglicher Symbolik befreit? Eine Welt, in der jeder das Recht hat, die Meinung anderer zu vandalieren? Wenn dir was nicht passt, schneid es ab!  Ist es das, was der Sohn meiner Freundin daraus lernen soll?

Diese Aktion schadet der Antifa-Bewegung, sie spielt den Nationalisten in die Hände. Um zum Fußball zurück zu kommen: ein Eigentor. Also bitte, liebe Fahnenabreisserin, lieber Fahnenabreisser. Egal aus welcher Motivation sie diese Fahne abgerissen haben, es produziert in jedem Fall Nationalismus. Den Rest kennt ihr ja.

PS: Ich habe herausgefunden, wo man die Druckvorlagen für die Zettel runterladen kann. http://cosmonautilus.blogsport.de/materialien/

Ein aufwändig gestaltetes Heftchen kann dort runter geladen werden und informiert minutiös darüber, wie man am besten die Fähnchen kaputt macht.

Der Urheber „Cosmonautilus“ will laut eigenem Bekunden als offene politische Gruppe aus Berlin Neukölln die Welt mitgestalten – gefragt und ungefragt.

Sie verstehen sich als Ortsgruppe der Linksjugend Solid (www.linksjugend-solid.de), der Jugendorganisation der Partei Die Linke.

Ein Funken Selbsterkenntnis erlöscht in einer großen Pfütze Selbstgerechtigkeit:
„... Denn das Abreißen von Deutschlandfahnen – zu dem wir an dieser Stelle explizit noch einmal nicht aufrufen wollen – beruhigt zwar das eigene linke Gewissen, gebietet der Flaggenflut aber meist ähnlich effektiv Einhalt wie der Tropfen den heißen Stein kühlt. Hinzu kommt, dass das Vergreifen an fremder Leute Sachen geeignet ist, diese fremden Leute in ihrer patriotischen Verbohrtheit zu bestärken, anti-linke Ressentiments zu befördern und einem fortschrittlichen Entwicklungsprozess der Gesellschaft eventuell sogar abträglich zu sein. Mit diesem praktischen Flyer allerdings könnt ihr den einstigen patriotischen Besitzer*innen eine kleine Nachricht hinterlassen, in der Hoffnung, einen Denkprozess in Gang zu setzen, der sich dann auch auf zukünftige sportliche Großereignisse positiv auswirken kann.“ 

Hätten die sich das mal lieber zu Herzen genommen.

Dienstag, 22. Mai 2012

Auch Doren brauchen Nachnamen



Blöd, wenn man wie ein lokaler Stadtteil heißt, da denken immer alle, das wäre ein Kunstnamen und ich würde dort wohnen oder aufgewachsen sein. Meine liebe Freundin Thea ist durchs Netz gestromert und hat mal geschaut, wie Doren üblicherweise so heißen: Asemwald! Sagt jedenfalls die Datenkrakenprofilsammelseite Yasni. Und die muss es ja wissen. Noch Fragen?

Montag, 21. Mai 2012

Verkatzte Homoerotik



Kofferaumdeckel sind sehr beliebt, Symbole für soziale Gruppenzugehörigkeit und politische Meinung aufzukleben. Soeben hab ich vor meiner Galerie ein neues Zeichen entdeckt: Das Mischzeichen bedient sich der Regenbogensymbolik jener, die bei der Geschlechtspartnersuche lieber beim eigenen Geschlecht bleiben und einer Katze. Oder Kater. Das Homoerotik Tieren nicht fremd ist, ist wohl bekannt. Das dies bei Katzen mittels Aufkleber Kund getan wird, ist mir neu. Ich wünsche mir einen eigenen Christopher-Street-Day Wagen für diese Randgruppe!

Dienstag, 15. Mai 2012

Unter Frauen

Dass ich als Virtuelle nicht so einfach wo aufkreuzen kann, sollte jenen, die mich kennen, schon klar sein. Ich brauch dazu immer fleischliche Helfer, die es verstehen, den materiellen Raum mit ihrer Präsenz  zu füllen, die mich zeichnen, die für mich die Maus schieben und andere eher greifbare Dinge erledigen, die meinen Gedanken Form geben können. Meine letzte Beteiligung an einer Ausstellung war mal wieder so ein Fall: Im Frauenkulturzentrum Sarah im Stuttgarter Westen gab's die Ausstellung „Kompromisslos oben bleiben“, die sich dem kreativen Widerstand gegen das Großprojekt Stuttgart 21 widmete. Passt!, dachte ich mir, hab ich doch einen nicht geringen Teil meiner Kreativität für das Stänkern gegen den lokalen Größenwahn eingesetzt, Lochinitiativen gegründet und wie die Wilde gebloggt. Normalerweise ist das mit den Ausstellungen ja kein Problem, ich sag einfach meinem Zeichner er solle meine Arbeit ausdrucken, rahmen und aufhängen und am besten noch die Rede halten. Hier jedoch gab's ein kleines Problem: Ins Frauenkulturzentrum dürfen, wie der Name schon sagt, nur Frauen rein – ein Kriterium, an dem er scheitert. Aber wer sagt eigentlich, dass mein Zeichner immer alles für mich tun muss? Es ist sowieso höchste Zeit, dass ich mich von ihm mal emanzipiere. Da kam's mir sehr zu pass, dass meine liebe Künstlerkollegin Karin Rehm dort auch ausstellt. Nicht nur, dass einige Arbeiten von uns gemeinsam erstellt wurden, sie ist auch erfahren in der Virtuelleninkarnation, da sie die materielle Vertreterin meiner Freundin Thea Schattenwald ist. Da ich gebeten wurde, eine Eröffnungsrede für die Ausstellung zu schreiben, habe ich dies auch getan und Karin mitgegeben. Der Abend hatte eine wunderschöne Stimmung, doch schaut euch die Bilder am besten selbst an. Ein paar der Bilder sind auch von der Finissage.

[slideshow]

Die Rede, die Karin für mich gehalten hat:


Liebe Gäste, Es waren gute Argumente, die mich motivierten, politisch zu werden – und zwar jene guten Argumente für Stuttgart 21, die angeblich überwiegen sollten. „Es stimmt, dass ein Teil des Schlossgartens über Jahre hinweg Baustelle sein wird. Es stimmt aber auch, dass in einer Großstadt Baustellen für den Erneuerungswillen ihrer Bürger stehen.“ Das war im Juni 2010. Wer erinnert sich noch an die Kampagne? Mir liegt sie zu schwer im Magen um sie verdaut zu haben. Zuvor verfolgte ich das Widerstandstreiben mit Sympathie, beschränkte mein Engagement jedoch auf die Initiative Loch 21. Bislang dachte ich ja, meine fachliche Unkenntnis wäre ein schlechte Basis dafür, mein Maul zum Thema aufzureißen. Aber mit dieser Verdummungs-Kampagne wurde mir klar, dass Sachlichkeit in der Bahnhofsdiskussion dünn gesät war. Meine Hemmung, mich einzumischen, schwand. Ich fing an, mich in meinem Blog für das Thema zu engagieren. Der Zuspruch vieler Leserinnen und Leser bekräftigte mich. Der Widerstand kam im Sommer 2010 so richtig in Fahrt und brachte mehr Leute auf die Straße als die derzeitige Fussball-WM. Ich war begeistert vom kreativen Reichtum des Widerstands – man bedenkte den Bauzaun – und trug meinen Teil dazu bei. Am 30.9. änderte sich die Stimmung, wurde verbitterter und ernster. Mappus wollte Bilder schaffen als er die Polizei dazu veranlasste, mit aller Härte gegen Demonstranten vorzugehen. Er wollte den Widerstand provozieren, um ihn als militant darzustellen. Er scheiterte an unserer bedingungslosen Friedlichkeit. Wir schafften es ein Gegenbild zu erzeugen, welches dem Ministerpräsident letztendlich das Genick brach. Spätestens da wurde klar, dass es im Streit um den Tiefbahnhof nicht um Leistungsfähigkeit oder Kosten ging, sondern um Bilder.

Im Herbst folgte die sogenannte Schlichtung und sollte Sachlichkeit vortäuschen.  Dort schlugen sich die großen Köpfe der Befürworter und Gegner – übrigens alles Männer außer Gönner und Dahlbender – die Argumente um die Ohren und lenkten von grundsätzlichen Fragen ab. Wie zum Beispiel der Frage danach, wer das eigentlich alles bezahlen soll oder ob ein milliardenteurer Bahnhofsneubau – K21 oder S21 – überhaupt notwendig sei. Die Kreativität des Widerstands zeigte sich ein weiteres Mal vor der Landtagswahl, in der es galt, das wahre Gesicht von Mappus zu zeigen. Das ist uns gelungen, die CDU musste nach 58 Jahren Herrschaft den Posten räumen, die Grünen Protagonisten des Widerstands standen plötzlich in der Regierungsverantwortung. Sie waren nun gezwungen, eine landesweite Volksabstimmung durchzuführen, die so ausgelegt war, dass die Projektgegner kaum eine Chance hatten, sich durchzusetzen. Auch hier sollte wie bei der Schlichtung Demokratie vorgetäuscht werden, und dieses mal ist es ihnen gelungen. Und wieder versuchte der Widerstand, mit all seiner Kreativität die Argumente gegen das Großprojekt unters Volk zu bringen und fuhr dabei mit Bussen durch das Land. Dem steuersubventionierten Wahlkampf der Befürworter stand eine Truppe Ehrenamtlicher mit viel Kreativität und wenig Geld entgegen. Die Befürworter ließen sich erst gar nicht auf die Sachebene ein und führten einen emotionalen Wahlkampf, der es schaffte, viele Bürger gegen den Ausstieg aus der Finanzierung des Projektes zu stimmen. Also letztendlich für Stuttgart 21. Und das wird jetzt, wie es scheint, auch gebaut. Hat der Widerstand versagt?

Wir haben es nicht nur geschafft, die CDU-Herrschaft zu beenden. Wir haben auch für ein neues Bewusstsein vieler Bürger gesorgt. Viele apolitische Bürger wie ich wurden aufgeweckt, haben sich vernetzt, wurden kreativ und haben sich engagiert. Auch wenn wir keine Chance gegen das Kapital hatten, das hinter Stuttgart 21 steht, haben wir eine gehörige Menge soziales Kapital aufgebaut, dass man uns nicht nehmen kann. Es sind die Freundschaften, die wir geschlossen haben, die Erlebnisse, die uns verbinden, es ist das gemeinsam gewachsene Bewusstsein, dass wir eine Stimme haben und gehört werden wollen. Der Widerstand hat unsere Kreativität geweckt und es uns ermöglicht, sie zu nutzen. Ein Abend wie dieser hier ist für mich Grund genug zu sagen: Der Widerstand hat nicht versagt.

Fotos: Karin Rehm,
Titelillustration: Martin Zentner,
Vorlage für Titelillustration: Julia Doebele,
Hintergrund Titelillustration: Karin Rehm

Mittwoch, 9. Mai 2012

Mein erstes Auto



Letztes Jahr haben die Stuttgarter Nachrichten mehr oder minder bekannte Bürger dieser Stadt nach ihrem ersten Auto und einer Geschichte dazu gefragt. Da außer mir niemand mehr ein Foto davon hatte oder eins hinbescheissen wollte, wurde aus der Geschichte zum 125-jährigen Autojubiläum nichts. Drum hab ich sie hier mal reingestellt. Das ganze geschah im September 96, als ich noch 21 Jahre alt war.

Meine Lieblingstante Mila hat mir ihren alten französischen Sportwagen geschenkt, weil sie nicht mehr so richtig gut einsteigen konnte. Sie wollte, dass ich ihn verkaufe und somit Geld für mein Ingeniuersstudium hatte. Auf das hatte ich zu diesem Zeitpunkt aber eh keinen Bock, weil ich es eigentlich nur wegen meinem Vater gemacht hab. Anstelle das Auto zu verkaufen hab ich beschlossen, damit in Urlaub zu fahren, wollte nach Dieppe, wo die Dinger gebaut wurden, an die Nordsee fahren. Das Bild hab ich in Le Tréport kurz vor Dieppe von einem Typ am Strand machen lassen. Dann fing das Chaos an. Die Fensterheber haben sich verselbstständigt, insbesondere bei Regen. Und irgendwann ist die Karre einfach liegen geblieben. Zum Glück hat mich einer abgeschleppt, der jemanden kannte, der mal bei der Fabrik gearbeitet hat und mir den Wagen abkaufte. Zurück mit dem Zug. War ziemlich frustriert, hab dann aber beschlossen, mein Studium zu schmeissen.

Montag, 7. Mai 2012

Breaking the what?



Eine Hand voll Herren kurz vor dem Rentenalter stehen auf der Bühne. Lametta blitzt und blinkt auf ihrer schwarzen Lederklufft, als wären sie wandelnde Diskokugeln. Nur schwerfällig kann sich der Sänger in seinen Nietenskistiefeln über die Bühne bewegen, aber dazu ist er auch nicht da. Er soll singen. Oder besser gesagt: kreischen! Das kann er noch wie in jungen Jahren. Rob Halford kann das sogar über viereinhalb Oktaven, und das nach vier Jahrzehnten Judas Priest, einem echten Urmetall des Heavy Metals, die schon einige Platten auf dem Markt hatten, als die New Wave of British Heavy Metal Anfang der Achtziger schneller, härter und lauter waren als ihre hartrockenden Vorgänger wie Deep Purple oder Black Sabbath. Auf ihrer Platte "Britsh Steel" wurde 1980 einer der besten Metal-Songs überhaupt veröffentlich: "Breaking the law". Beim Konzert muss Halford den Song schon lange nicht mehr singen, das Publikum übernimmt das für ihn. Ich tu' so als ob ich textfest wäre, um mich nicht als totale Grünschnäbelin zu outen.



Ich drängel mich gleich vorne in die Mitte, um den altgedienten Headbangern bei der Arbeit zuzuschauen. Doch anstelle wildgewordener Berserker, die ihre Mähnen schwingen und flummihaft durch die Gegend hüpfen, tummeln sich dort loose die Fans, ihre Telefone zum Filmen gezückt. Ein paar mittelalte Herren die sich in wohliger Erinnerung an vergangene Tage ein bisschen anrempeln werden sofort von den Securityjungs gerügt. Ein paar jüngere Mädchen empören sich, wie man es wagen könne, ihre Ruhe zu stören oder ihnen gar ins Bild zu laufen! Bin enttäuscht von Generation Wattebäuschchen, die schon beim Falschparken ein Gefühl von Breaking the Law überkommt.



Show und Bühne sind zeitlos. Nur die Projektion auf den Backdrop (Die Leinwand hinter der Bühne) zeugen von Technologie dieses Jahrtausends. Technisch, nicht inhaltlich. Die Powerpointpräsentation alter Plattencover und historisch anmutender Animationen werden zum Glück oldschoolhaft durch Laser, Flammen, Nebel und stets wechselnde Glitzerkutten des Metal Gods Halford übertüncht, der auch mit dem Motorrad auf die Bühne fährt – wie es sich gehört! Mit Lederkäppi und Gerte erfüllt er alle Klischees Ralf-Königesker Lederschwuler. Tatsächlich sagt man ihm nach, der erste geoutete Metalsänger zu sein. Viel abgefahrener ist jedoch, dass Halford schon in den Achtzigern KEINE! langen Haare trug.

Als Vorgruppe spielt übrigens Thin Lizzy („The boys are back in town“, „Whiskey in the jar“). Bei denen gibt es kaum noch alte Männer, sie wurden größtenteils durch Jungrocker ersetzt, die die alten Hits ordentlich spielen.

judaspriest.com

www.thinlizzy.org

Übrigens: Hier gibt es eine dorische Abhandlung über den Sinn und Zweck des Schwermetals, die sich die verweichlichte Metaljungend mal hinter die Ohren schreiben sollte:
http://asemwald.wordpress.com/2011/04/15/tod-und-teufel/ 

5 Jahre Lebenslügen

Wenn das kein Grund zum wilden Feiern ist: Vor 5 Jahren, am 4. Mai 2007, habe ich diesen Blog hier begonnen. In meinem ersten Artikel hab ich mich erst mal vorgestellt:


Guten Tag, liebe Leser.
Mein Name ist Dora Asemwald und ich führe ein virtuelles Leben. Wer sich dafür interessiert, kann sich hier auf dem Laufenden halten.

Ich werde bisweilen gefragt, ob ich "echt" sei. Das ist Ansichtssache. Ich jedenfalls halte mich selbst durchaus für real. Ich lasse mich gerne auf eine Diskussion über die Definition von Realität ein. Wer mich jedoch für eine Fälschung hält, soll andere Blogs lesen und mich in Ruhe lassen. Allen anderen wünsche ich viel Spaß im virtuellen Asemwald.

Liebe Grüße: Eure Dora

Seit dem sind über 400 Artikel dazu gekommen, seit Mai 2010 ist der Blog bei Wordpress, welches emsig die Leser zählt. Fast 70.000 mal wurde seit dem der Blog oder ein Artikel angeklickt. Hier ein paar Geschichten aus der Statistik. Auf die Bilder klicken öffnet den Artikel.

[caption id="" align="alignnone" width="384"] Fast 10.000 mal Klicks gingen an den kleinen Artikel über ein peinliches T-Shirt. Der verpixelte Vollhorst hat Fotografen Martin Anner übrigens das Leben ganz schön schwer gemacht.[/caption]

[caption id="" align="alignnone" width="384"] Mode scheint beliebt zu sein: Der zweitmeist gelesene Artikel meines Blogs mit 985 Lesern handelt von Rapid Prototyping Klamotten.[/caption]

[caption id="" align="alignnone" width="350"] Am liebsten echauffiere ich mich darüber, für dumm verkauft zu werden. Der drittmeistgelesene Artikel mit 913 Lesern über total bekloppte Wahlplakate.[/caption]

[caption id="" align="alignnone" width="350"] Platz 4: 719 Leser interessieren sich für Erdbahnhöfe, Protest und Parkschutz in Stuttgart.[/caption]

[caption id="" align="alignnone" width="384"] Am meisten Ärger gabs mit diesem Artikel, und die zweitmeisten Kommentare (Platz 1: Tu ihn unten rein). Entsprechend hässlich ist die Illustration von mir.[/caption]

[caption id="" align="alignnone" width="312"] Der längste Artikel: Reisebericht meiner Japanreise von 2007, den ich neu überarbeitet und zusammengefasst habe.[/caption]

[caption id="" align="alignnone" width="584"] Der einzige gedruckt veröffentlichte Artikel (In der Kontext-Beilage der TAZ).[/caption]

Meine fleisigste Kommentatorin: Puzzle, Platz 2: die leider verstorbene Lesende, Platz 3: Der Emil

[caption id="" align="alignnone" width="432"] Das häufigst geschaute Bild (Frank und Steff)[/caption]

[caption id="" align="alignnone" width="384"] Der häufigst gelesene Artikel in meinem englischen Blog, den ich doch sehr vernachlässige.[/caption]

Gibt es Leser, die auch einen Lieblingsartikel haben? Ich freue mich über Feedback!

Übrigens: Anfags war mein Blog bei blogger: asemwald.blogspot.de