Montag, 10. Januar 2011

Wutbürger, Weichspüler und der Rest vom Protest



Die Stuttgarter Protestkultur hat im ganzen Land für Aufsehen gesorgt. Das friedliche und untypische Publikum aus allen Schichten war mal kurz ein gutes Thema für die Medien, ein neuer Geist der durch das Volk weht wurde erkannt, er kam aus Stuttgart. Der Sommer ist rum. Die Demonstranten wurden verprügelt, die Gegner geschlichtet, der Bahnhof wird vergraben, Atomkraftwerke laufen weiter. Die Krise ist rum, es geht wieder aufwärts, die Landtagswahlen kommen und die meisten werden vergessen haben, was im letzten Jahr so alles passiert ist. Die diffuse Furcht vor einer grünen Regierung wird viele, die letzten Sommer noch vom Hauch der Revolution umspült waren, ihr Kreuz an die gewohnte schwarze Stelle setzen lassen. Man mag ihn nicht, den Mappus, aber er ist gut für's Land. So denken viele. So wählen viele.

Der Geist des Protestes
Für uns Revoluzer aus dem Stuttgarter Kessel, die den 30.9. nicht nur auf  YouTube erlebt haben, die gesehen haben, wie die Bahn sich bei der Schlichtung gewunden hat, die Mappus Verlogenheit im Untersuchungsausschuss verfolgt haben, die sich nicht nur auf den Demos treffen sondern sich auch darüber hinaus engagieren, für uns ist es nur schwer nachvollziehbar wie schnell der Geist des Sommers verschwinden konnte. Denn bei uns ist er noch da, wir bestätigen uns weiter gegenseitig, tröten und trillern zum Schwabenstreich, frieren Montags gegen das System. Wenn wir genügend an den Wechsel glauben, dann wird er schon kommen. Schön wärs. Gewählt wird in Aalen, Sigmaringen und Lörrach, nicht nur im Lehenviertel oder am Stöckach.

Selbst in meinem eigenen Umfeld treff ich immer häufiger auf Leute, die die Nase voll von dem Thema haben. Sie nervt es höchstens, dass eine Demo mal wieder die Straßen verstopft oder das im Park Müll rumliegt. Sie haben vergessen oder es interessiert sie nicht mehr warum es so wichtig ist, einer korrupten Regierung die Stirn zu zeigen. Sie verdrängen, dass Mappus dem Rechtstaat den Stiefel in den Arsch steckte als er die Wasserwerfer in die Schülerdemo schickte. Natürlich könnte man jetzt die Verdrossenheit und Ignoranz anmahnen und darüber lamentieren, dass so viele einfach nur mitgelaufen sind weil es chic war und die Sonne geschienen hat. Das bringt aber nichts. Doch wie geht es weiter?

Wie viel Druck verträgt der Protest?
Es stehen sich zwei Philosophien gegenüber: Die einen wollen mehr Druck machen. Mehr Demos, ziviler Ungehorsam und Blockaden. Sie nehmen billigend in Kauf dass sie die Unentschlossenen vor den Kopf stoßen. Sie sind nicht bereit zu verhandeln aber dazu bereit sich mit allen Mitteln gegen den Bau des Erdbahnhofs zu stellen. Ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit verdanken wir dass der Bürgerprotest in Stuttgart überhaupt erst wahr genommen wurde.

Die andere Seite sind jene die glauben, dass das Ziel des Druckaufbaus erreicht sei. Die Massen wurden für das Problem sensibilisiert, weiterer Druck bringe da nichts mehr. In ihren Augen schreckt Radikalität jene ab, die sich in der Sache noch unsicher sind. Ihr Ziel ist es, dass mit der Landtagswahl ein Regierungswechsel kommt. Und dazu wollen sie mit den Unentschlossenen reden, die man noch gewinnen kann. Vorausgesetzt man stößt sie nicht vor den Kopf. Und dazu lassen sie sich auf deren Gedankenwelt ein, hören sich die Argumente an, nehmen sie ernst. Selbst oder gerade dann wenn sie den Erdbahnhof eigentlich nicht schlecht finden, irgendwie schon verstehen dass die Polizisten sich ja wehren mussten und daran glauben, dass die Grünen genauso beschissen seien wie die aktuelle Regierung. Das ist nicht einfach, insbesondere wenn es um den 30.9. geht.

Protest als Selbstzweck
Die Druck-Fraktion wirft der Verständnis-Fraktion Weichspülermentalität und Ausverkauf der Ideale vor. Aber worum geht es hier eigentlich? Geht es darum zu beweisen, dass man sich bis zum bitteren Ende vor den Bagger wirft? Das man sich vom System nicht kleinkriegen lässt? Oder einfach darum dass man seine Wut gegen das System Gassi führen kann? Gründe zur Wut gibt es viele. Leider macht sie blind. Man vergisst dabei das eigentliche Ziel. Protest ist kein Selbstzweck. Wenn wir was verändern wollen müssen wir sachlich bleiben, aufklären, überzeugen. Als Wutbürger werden wir nicht ernst genommen. Und genau da will uns die Regierung haben. Diesen Gefallen sollten wir ihr nicht tun.

Quo vadis Protest?
Wie können wir also etwas bewegen? Wo finden wir jene, die noch überzeugt werden können? Auf welchen Kanälen können wir sie erreichen? Welche Argumente brauchen wir um die Saat des Zweifelns zu säen? Wenn jeder Gegner es schafft einem Unentschlossenen zu überzeugen dann haben wir viel erreicht. Wir müssen sie nicht auf die Straße bringen, es reicht schon wenn sie am 27. März ein Kreuzchen gegen Mappus und seinen Filz machen.

10 Kommentare:

  1. Alle - nicht nur Gottes - Mühlen mahlen langsam. Wundersam war schon, dass ein "Veto" verhandelbar ist. Ein Veto ist seinem Charakter nach ein "Nein". Es muss für gewöhnlich nicht begründet werden. Denken Sie nur an irgendwelche Verhandlungen der Vereinten Nationen, in denen verschiedene Länder ein Veto-Recht haben und davon auch Gebrauch machen, wenn ihnen etwas nicht in den Kram passt. Das kann die Mehrheit oder der "vernünftige" Teil der Mitgliedstaaten schlecht finden, nützt nichts, die Resolution kommt nicht zustande, die Initiative scheitert. Wenn nun die Stuttgarter Bevölkerung ein Veto gegen das Bahn-Projekt einlegt, lässt es sich auf Schlichtungen ein mit dem Bock als Gärtner. War die Polizei-Attacke schon äußerst schmerzhaft, erniedrigend und beleidigend, weil sinnlos, respektlos, geistlos, das Resultat der "Schlichtung", diese Vorführung des deutschen Wutmichels hätte jedem sachlich Engagierten die Haare zu Berge und die Tränen der Wut in die Augen treiben müssen! Nicht nur, dass er den verhassten Bahnhof bekommt, er bekommt auch noch etliches "Vernünftige" und "Notwendige" dazu - eben als Resultat seines Protestes, als letzten Ratschluss der Vernünftigkeit und Rationalität! Danke, liebe Bürger! Bekommen also noch einen Brocken obendrauf, als ob sie danach verlangt hätten! Ein Präzedenzfall für die Zukunft: protestiere und es wird noch schlimmer! Dann kommen sie auf noch ganz andere Sachen. Hilfe!

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  2. [...] This post was mentioned on Twitter by Rainer and Dora Asemwald. Dora Asemwald said: http://asemwald.wordpress.com/2011/01/10/wutburger-weichspuler-und-der-rest-vom-protest/ [...]

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  3. "Die andere Seite sind jene die glauben, dass das Ziel des Druckaufbaus erreicht sei. Die Massen wurden für das Problem sensibilisiert, weiterer Druck bringe da nichts mehr. In ihren Augen schreckt Radikalität jene ab, die sich in der Sache noch unsicher sind."

    Frage: Warum macht man Demos?
    Vorläufige Antwort: Um Aufmerksamkeit zu erringen.

    Gut, wir wissen jetzt alle was Sache ist, da ist die Frage ob die Demos noch weiterhin sein müssen. Was sollen sie denn, ausser oben genanntes, denn NOCH bewirken?

    Und jetzt mal zum Realitätscheck:
    "Wie können wir also etwas bewegen? Wo finden wir jene, die noch überzeugt werden können? Auf welchen Kanälen können wir sie erreichen? Welche Argumente brauchen wir um die Saat des Zweifelns zu säen? Wenn jeder Gegner es schafft einem Unentschlossenen zu überzeugen dann haben wir viel erreicht. "

    Die Antwort: Gar nicht!
    Wer sich JETZT noch nicht dafür interessiert hat und JETZT noch nicht Bescheid weiß, wird nicht "dazukommen". Und selbst wenn: Man muss nur mal in der Geschichte blättern: Der Ablauf ist immer der gleiche:

    - Eine kleine Gruppe Weltverbesserer
    - Die Gruppe wird größer
    - Die Gruppe wird NOCH größer und "aussenstehende" mischen mit.
    - Irgendwann ist eine "Bewegung" dann so groß, das sie nur noch eines hinbekommt: Mit Glanz und Glorie den Karren gegen die Wand fahren.
    Das war bei den 68er Hippies so, das war in der Goa-Szene so, das ist bei den Kiffern so. Warum sollte es woanderst anders sein? Die wo JETZT nicht im Boot sind, kommen auch nicht mehr. Da kann man noch so tolle "Angebote" machen und Versuche starten "die letzten ihrer Art" zu erreichen.

    Ich orakel mal: Den meisten ausserhalb von Facebook ist das Thema doch Scheißegal mittlerweile. Man ist "gesättigt". Was übrig bleibt am Ende sind die 5-10 Leute die "den harten Kern" bilden und sich wundern wo der Rest der "Solidaritätsgenossen" abgeblieben ist.

    Ich habs damals schon gesagt, 1 Tag nach den Wasserwerfern: Es würde mich nicht wundern wenn CDU und Konsorten wieder das Rennen (in Stuttgart) machen.
    Der Schwabe ist vor allem eines: Unsagbar dämlich!

    Just my 2 cent.

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  4. Die Granatenfehler der Aktionen waren: Verunstaltungen des Schloßgartens samt Baumkletterei (viele Juchtenkäfer kamen um ...), unflätige und häufig persönlich-gemeine Plakate ect. am Bauzaun (gehört sich nicht! Was sollen denn die Kinder denken!), Lärm und Krach in Stadtmitte, sodaß vielen Käufern die Lust verging, nach Stuttgart rein zu fahren (Gerade der sog. Schwabenstreich erzeugte ausgesprochen heftigen Unwillen!) und die aus den "fröhlichen Spaziergängen" in der Stadt jeweils entstandenen Verkehrsbehinderungen. Was zu viel ist, ist einfach zu viel ...
    Wir Stuttgarter sind dies einfach dicke!!!

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  5. Ein Teil aller Stuttgarter hat das einfach dicke, bei weitem aber nicht alle. Nur weil der Protest nicht allen Leuten gefällt ändert das nichts daran, dass es doch viele Menschen gibt, die S21 einfach nicht wollen. Und das aus gutem Grund. Ob der neue Bahnhof gut oder schlecht ist hängt ja nicht davon ab, ob die Demos jedermann gefallen oder nicht. Die Demos sind das Resultat der Tatsache, dass sich Stadt und Bahn für jede Form der Kritik taub gestellt hat.
    So lange wir uns darüber streiten ob die Form des Protestes angemessen ist oder nicht vergessen wir dass es eigentlich um was ganz anderes geht. Während sich einige Befürworter über den Schwabenstreich echauffieren untergräbt die Bahn den von ihnen akzeptierten Schlichterspruch. Allein die Tatsache, dass die Bahn den Stresstest selbst machen wollen müsste doch die ernsthaften Befürworter auf die Barrikaden treiben. Es ist viel einfacher sich über die Protestform anderer aufzuregen als sich mit inhaltlichen Problemen auseinander zu setzen.
    Liebe Stuttgarter, kümmert euch lieber darum, was mit unserer Stadt auf lange Zeit passiert. Das ist wohl einiges wichtiger als Verkehrbehinderung und Protestlärm.

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  6. Ich geh erst seit dem 30.9 zu Demo , und es sollten viel mehr Bürger aufgewacht sein, leider wird der Deutsche die machenschaften der CDU erst realisiert haben wenn es durch den EURO zerfall zu Unruhen kommt. Die Union hat sich das Mittel geschaffen, auch zu töten um sich durchzusetzen .(Zusatzerklärung im Vertrag von Lissabon)
    Durch Kohl wurde Art.20 GG still und leise entmachtet , und dem Volk alle Macht genommen. Diese Regierung darf nicht durch wieder Wahl bestätigt werden.

    Demo, Aufklärung durchhalten bis zum 27.3.2011

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  7. Wie gerne würde ich Glauben, dass es besser wird, wenn die CDU die Wahl verliert. Das S21 nicht gebaut wird, wenn am 27.3. Mappus abgewählt ist. Ich jedenfalls kann diesen Optimismus leider nicht teilen.
    Ich fürchte, dass nach der Wahl der Druck noch erhöht werden muss, wenn wirklich etwas verändert werden soll. Kehrt erst das Buisnesss as Usual wieder ein, bleibt alles beim Alten und eine riesige Chance ungenutzt.

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  8. Wenn ich das Presseecho auf die gestrige Sitzblockade betrachte, dann sehe ich, dass die Aktionen der "Druckmacher" nicht nur sinnvoll, sondern sogar unbedingt nötig sind. Einige überregionale Zeitungen und das Fernsehen haben darüber berichtet, den Slogan und die Forderungen in Gänze wiedergegeben und damit das Thema mal wieder in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Das ist bei einem vergleichsweise kleinen "Personaleinsatz" doch ein erfreulich hoher Wirkungsgrad.

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  9. An dieser Stelle ist der Druck ja auch sehr sinnvoll eingesetzt. Da geht's nicht ums Wutablassen sondern darum, gezielt zu blockieren, zu zeigen dass man nicht ruhiggeschlichtet wurde. Das sind Mutbürger, nicht Wutbürger.

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  10. Es wird bestimmt nicht alles besser wenn die CDU verschwindet. Ich bin da auch nicht Optimistisch. Es ist halt das kleinere Übel und hilft vielleicht die verkrusteten Machtstrukturen etwas aufzumischen. Außerdem darf es nicht sein dass ein MP gewählt wird nachdem er das eigene Volk hat verprügeln lassen. Das wäre doch der Freibrief für alle kommenden Sauereien.
    Sollte Grün/Rot an der Regierung sein müssten wir ebenso kritisch mit ihnen umgehen. Und sollten sie Scheiße bauen, dann werden sie abgewählt. Leider kann ich heute keine Partei mehr weil ich sie mag. Ich wähle das kleinere Übel.

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